Infanta (German Edition)
eigentlich an der Reihe war.« Sie brachte ein dampfendes Tuch. »Weißt du, was man mir vorhin zurief? Hier will jemand zu dir! Und ich dachte schon, du seist abgereist. Als du über die Wäscheleine gesehen hast, wußte ich nicht mehr, warum ich bei dir war nachts.« Mayla redete leise und schnell und löste ihm dabei die Krusten von der Nase.
»Kannst du atmen?«
»Ja.«
»Dann ist die Nase auch in Ordnung.«
»Was ist mit der Wange?«
»Die Wange ist aufgeplatzt. Aber ich habe schon ganz andere Wangen gesehen.« Sie tupfte kleine Steinsplitter aus dem Fleisch. »Hier benutzen sie oft ihre Hackmesser. Schlägereien sind selten. Du hattest Glück.«
»Mein Glück müßte allmählich aufgebraucht sein.« Kurt Lukas nahm die Hände auf den Rücken; sie zitterten noch. Nach und nach erfaßte er, wie Mayla wohnte. Er sah einen dünnen Vorhang, der ihre Schlafecke abtrennte, sah die Kochgelegenheit, den Spülstein und ihre Kleider; sah eine Marienfigur mit Ewiger Lampe und Fotos der getöteten Eltern und Brüder neben einem Bildchen von Gussmann mit Hut; sah den Fußboden aus Bambus und die Decke aus Blech, sah ihr Geschirr, ihren Aschenbecher und die Vorräte in einem Regal, Nescafé, Lipton-Tee, Marlboros, Zucker, getrockneten Fisch und einen Sack Reis; sah einen silbrigen Kassettenrecorder und ein Kalenderbild vom Zugspitzsee, sah ihr Waschpulver und den Korb für die Wäsche, ihren Nagellack und einen Spiegel ohne Rahmen.
»Du kannst heute nacht bleiben«, sagte Mayla. Sie rauchte jetzt. Mit ihrer freien Hand entfernte sie noch immer Splitter. Dann säuberte sie die Platzwunde mit einer Jodlösung und lächelte, als er Luft durch die Zahnritzen zog. »Es wird heilen. Aber Romulus hat sein Gesicht verloren.«
»Auf wessen Seite bist du?«
»Auf deiner. Denn ich erkläre dir etwas.«
»Erklär mir, was bei der Wäscheleine war.«
»Ich erkannte dich kaum.«
»Wegen der Sonnenbrille.«
»Vielleicht. »
Er zeigte auf die Fotos. »Warum hängt dort Gussmann?«
»Weil ich ihn liebe.«
»So wie mich?«
Sie gab ihm die sanfte Ohrfeige, und er hielt ihre Hand fest; Mayla zog ihn vom Stuhl hoch und ging mit ihm hinter den Vorhang.
Ihr Bett war flach, ein Holzgestell ohne Matratze, auf dem eine geflochtene Matte lag. Der Kopfkeil aus Schaumstoff war weiß bezogen, weiß war auch die dünne Decke. Sie half ihm, sich hinzulegen, und zog ihn aus. »Man darf sich bei der Hitze nur wenig bewegen«, sagte sie und fächelte mit einem Stück Pappe vor seinem Gesicht; zwischendurch riß sie Blätter von einer Klopapierrolle und trocknete ihm die Stirn ab. Dann ging sie nach draußen, und er hörte ein Rieseln im Hof. Barfuß, nur in ein Handtuch gehüllt, die Hände im nassen Haar, kam sie zurück und kniete sich neben die Schlafstelle. Sie streifte ihre Uhr ab und legte sie zu Aschenbecher und Zigaretten, sie riß Blätter von der Rolle und schichtete sie und legte den kleinen Stoß neben die Uhr. Umsichtig traf sie ihre Vorkehrungen; endlich beugte sie sich über ihn, ihr Kettchen berührte sein Kinn. Sie machte sich leicht. »Tu nichts«, sagte sie. »Erst wenn ich dich bitte.«
Wie ein ausklingender Regen tropfte bald ihr Schweiß auf seine Brust, und sie nahm eines der vorbereiteten Blätter und tupfte ihn ab. Er schaute ihr zu. Sie liebte hellwach, mit offenen Augen, mit offenen Händen und ohne Hast. Jede ihrer Regungen, ein sich spreizender Daumen, ein Rucken des Kopfes, eine schwellende Ader, verfolgte er staunend. Mayla bewegte sich langsam und fließend, darauf bedacht, daß die Verbindung nicht reiße, und von einem Augenblick zum anderen grub sie die Fingerkuppen in seine Schultern, während ein Anflug von Panik über ihr Gesicht ging. Sekunden später trennte sich ihr gemeinsamer Atem. Mayla erholte sich rascher als er. »Ich glaube, ich möchte noch mehr lieben«, sagte sie und war schon wieder in ihr Handtuch gehüllt. »Soll ich dir meinen Spiegel bringen? Dann kannst du dich ansehen, während ich dusche.«
»Bring ihn mir morgen.«
Kurt Lukas setzte sich auf. Wie große weiße Blüten lagen die geknüllten Schweißtücher verstreut, und seine Terrasse in Rom fiel ihm ein. Der Morgen nach dem großen Augustgewitter, das erste Laub. Er war erschöpft und froh.
»Hast du Hunger?« rief Mayla von draußen.
»Nein.«
»Aber ich!«
Sie kehrte in die Hütte zurück; er sah ihr zu, wie sie sich Reis aufwärmte, wie sie den Tisch für sich bereitete, wie sie Platz nahm. Mayla zog ein Bein an und setzte
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