Infanta (German Edition)
Riegel beiseite. »In dir steckt irgendwo ein Sänger«, gab sie ihm noch mit auf den Weg.
Kurt Lukas ging durch die Nacht. Er ging langsam; nichts lief ihm davon. Ein Sänger, in ihm? Er hatte doch nur gebrüllt. Er konnte gar nicht singen, so wie er nicht Tennis spielen konnte, kaum jedenfalls. Das Bummeln tat ihm gut. Die Nacht war warm und hell. Wo er hinsah, schimmerte es. Bananenblätter, die den Weg überragten, starr und glatt oder zerfleddert wie die Flügel eines alten Vogels, schimmerten. Palmstämme, pfeilgerade oder mit dem Wind über die Jahre akrobatisch gebogen, schimmerten. Sogar auf dem Boden lag noch ein Schimmer. Die Musik aus der Bude begleitete ihn, bald lauter, bald leiser; die Bühne gehörte um diese Zeit Hazel – bei lauten Nummern zeigte sie, was sie konnte, bei leisen, was sie hatte.
Jemand trat ihm in den Weg.
»Ich habe gewartet auf dich.«
Der Sergeant. Er hatte einen Trainingsanzug an und ein Paket unterm Arm. Seine weiße Hose, in Plastik geschlagen. Behutsam legte er das Paket an den Wegrand.
»Hast du genug gesungen?«
»Ich wollte gar nicht singen.«
Der Sergeant führte eine Hand zum Mund. Er rauchte. »Du konntest sogar den Text.«
»Er ist ganz einfach, deshalb.«
»Kein Text ist einfach, einfach ist gar nichts« – Romulus sprach jetzt mehr mit sich selbst –; »es ist einfach gar nichts einfach, außer sich einfach in den Vordergrund spielen . . .« In seiner hohlen Hand glimmte es, ehe Funken flogen und der glühende Stummel zu Boden fiel; schon aus Gewohnheit schlug er ins Gesicht.
Kurt Lukas fiel auf den Rücken.
Der frühere Boxer zog ihn hoch und legte ihm einen Arm um die Schulter. Er griff ihm ins Nackenhaar und bog ihm den Kopf zurecht, bis ihre Gesichter einander zugekehrt waren. Romulus drehte an dem Haarschopf in seiner Faust. »Ich habe sogar schon in der Hauptstadt gesungen, im Mabini Palast. Geboxt und gesungen habe ich dort und könnte heute noch beides.« Kurt Lukas wollte dem zustimmen, aber spuckte nur Blut. Es quoll ihm aus Nasenlöchern und Mund, es lief ihm über Kinn und Hals und tropfte auf seine zitternden Hände. »Und ich könnte dich jetzt töten«, fuhr der Sergeant fort und strich das verdrehte Haar wieder glatt. »Aber man darf nicht töten, und darum kannst du weitersingen, du sollst dich nur an mich erinnern, wenn du Luft holst auf der Bühne.« Und er rammte ihm ein Knie in den Magen. Sein Opfer brach zusammen. Mit der Hellsicht eines Abstürzenden begriff es noch, was geschehen war, bevor ihm der Schmerz den Verstand nahm.
Kurt Lukas krümmte sich am Wegrand. Doch erstickte er nicht, und der Schmerz ließ nach. Als er ein erstes schwaches Verebben spürte, Raum hatte für einen ersten schwachen Gedanken – Ich lebe –, kroch er ein Stück, war stolz und kroch weiter. Sein zweiter Gedanke war das Ziel dieses Kriechens. Er kam auf die Beine, taumelte vorwärts und fiel vornüber, Hände fingen ihn ab. Die Alten, dachte er, aber sah fremde, unbewegte Gesichter und bedeckte Nase und Mund wie ein Nackter seine Blöße. Zwei junge Frauen stützten ihn. Sie jammerten über das Blut, als hätten sie es selbst vergossen, und schienen sein Ziel zu kennen. Wie von weitem hörte er Tuscheln und Schritte; erst vor Maylas Hütte wurde es still. Die Frauen führten ihn bis an die Stufen, riefen etwas und waren verschwunden. Licht ging an, und Kurt Lukas entschuldigte sich für sein Aussehen.
Er hatte einen Schrei erwartet, aber Mayla schrie nicht. Sie schlug auch nicht die Hände zusammen und stürzte nicht auf ihn zu; sie stammelte nicht einmal seinen Namen. Ohne ein Wort führte sie ihn in die Hütte. Sie brachte ihm einen Stuhl, setzte Wasser auf und sah sich die Wunden an.
»Wie ist das passiert?«
»Ich wurde verprügelt. Von Romulus.«
»Dann mußt du etwas verkehrt gemacht haben.« Sie öffnete ihm den Mund. »Deine Zähne, Lukas, sind in Ordnung. Aber wir sollten das richtige Küssen noch einmal verschieben.« Er drückte ihre Hände, und dicht vor seinem Mund flüsterte sie, »Gihigugma ko ikaw.«
An der Bedeutung dieser Worte gab es keinen Zweifel.
Und trotzdem hätte er fast gefragt, ja, hätte sie fast nachgesprochen. Aber sein Kiefer schmerzte noch, und so blieb um die Worte ein leichtes Geheimnis. Mayla traf Vorbereitungen, ihn zu waschen. »Ich hörte deine Stimme«, sagte sie. »Du hast in der Bude gesungen. Ich kannte das Lied nicht, aber es hörte sich falsch an. Und trotzdem hattest du mehr Applaus als Romulus, der
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