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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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klang aus den Hörnern auf dem Budendach, vom Hügel herab und über Infanta, klang um ihn und in ihm und aus ihm heraus, Pretty woman, walking down the street, und Kurt Lukas wußte nicht, wie ihm geschah. Er sang. Mit jedem Ton, den er ausstieß, löste sich ein weiterer Ton, mit jeder Silbe, die von den Wänden zurückprallte, lockerten sich neue Silben in ihm, und plötzlich hörte er seine eigene Stimme; schwankend wie ein blinder Sänger, das Mikrophon vor den Lippen, stand er im Publikum, und das Lied nahm seinen Lauf. Es schwoll an und wurde leiser, es schien zu schweben, ja, zu enden und fing sich wieder in einzelnen Tönen eines Klaviers; kroch dann dahin, nur noch aus Schlagzeug bestehend, einem gleichförmigen Hämmern, bald härter, bald sanfter, kam wieder zu Kräften, und auf einmal rief jemand Mercy!, zog noch ein letztes Mal an und brach ab. Brach ab und klang in ihm weiter, weiter durch Magen und Brust, und er wunderte sich, daß keiner kam, ihn zu retten.
    »Liegt alles am Klima«, sagte Ben Knappsack. »Man heult wie ein Hund und weiß nicht, warum.« Der Australier drückte ihm eine Flasche Bier in die Hand. »Du hast viel Wasser verloren, du mußt trinken.« Er deutete ins Publikum. »Die Leute klatschen deinetwegen. Du warst nicht schlecht. Lauter schräge Töne, aber sie kamen an.« Knappsack lotste ihn zum Garderobeneingang. »Ein Erfolg, verstehst du. Sergeant Romulus wurde von der Bühne gepfiffen, während du gesungen hast. Er ist gegangen, du hast ihn verdrängt. Bravo.«
    Die schwarze Sängerin empfing Kurt Lukas an der Tür. »Du brauchst jetzt Entspannung«, erklärte sie und zog ihn ins Innere ihres Reichs, eines stickigen Labyrinths, von dem sich schwer sagen ließ, was es nicht enthielt. Unzählige von Stangen und Schnüren hängende Kleider und Kostüme bildeten Gänge und Kabinette, in denen es nach Schweiß und Mottenkugeln roch, nach altem Fett und süßem Puder. Doña Elvira holte ein Taschentuch aus dem Ärmel und trocknete sein Gesicht ab. »Damit möchte ich andeuten, daß es nun auch umsonst mit mir geht. Aber vorher zeige ich dir mein Zuhause.« Und sie führte ihn durch das Gehänge ihrer Röcke und Roben, ihrer Schleier, Bänder und Wäschestücke, einen Wald aus Taft und Spitzen, der sich immer wieder zu Lichtungen öffnete, ihrem Schlafkabinett mit Kissenbergen, ihrem Badeabteil mit Wanne und Schminktisch, und endlich in eine Art Wohnraum mündete.
    Vor einem Schrank mit Fenster, in dem ein Fernsehgerät lief, saßen auf einem eingesunkenen Sofa drei Männer, der harte Kern des Komitees zur Unterstützung des Präsidenten. »Freunde«, flüsterte Doña Elvira, »einmal in der Woche gebe ich einen Videoabend für Freunde. Mal kommen mehr, mal weniger. Heute sind es nur drei. Der Fotograf Adaza, unser Poststellenleiter Fidelio und mein neuer Friseur. Honorige Leute. Und alle sehr an Filmen interessiert – sie bemerken uns gar nicht, sieh sie dir an.« Doña Elvira lenkte etwas Licht auf die Zuschauer. Der Fotograf war ein Mittdreißiger mit angegrautem Haar und linsenhaft hervortretenden Pupillen. »Perfecto Adaza gilt als eigenwillig«, sagte die Sängerin leise, »selbst Paßbilder dauern bei ihm eine Woche. Ein Ruheloser. Ganz anders als Jesus Fidelio.« Der Poststellenleiter, ein kleiner Mann mit Katzenschnurrbart, folgte dem Film aus einer Art Halbschlaf. Neben ihm saß der Friseur, alterslos, in priesterlichem Schwarz, mit Zopf und aufgestellten Wimpern. »Gerardo Gomez. Er ist von auswärts wie ich. Gary Cooper-Gomez’ Salon steht über seinem Laden – Frisuren für jedes Gesicht . . .« Doña Elviras Erklärungen dienten bald nur noch dem Zweck, die Ohrmuschel ihres Zuhörers zu lecken, und schließlich sprach sie von einem geräuschlosen Weg, sich zu lieben, der trotzdem noch angenehm sei, und prüfte seine Muskeln.
    »Tut mir leid«, sagte Kurt Lukas, »ich kann nicht. Nicht bei der Hitze.«
    Die Sängerin zog hoch. Ihre kleinen runden Augen glänzten vor Fieber. Sie gab für diesen Abend auf und brachte den ersten Mann, der sie nicht taktlos abgewiesen hatte, zur Hintertür der Garderobe. »Wirst du wieder singen?«
    »Vielleicht. »
    »Wirst du auch wieder hier hereinkommen?«
    »Vielleicht.«
    »Liebst du Mayla?«
    »Alle stellen mir diese Frage.«
    »Das heißt ja.«
    »Ja, vielleicht.«
    Doña Elvira schneuzte sich, es ging nicht mehr anders.
    Er könne ab heute ihren Privateingang benutzen, sagte sie durch die Nase und ihr Taschentuch und schob einen

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