Infanta (German Edition)
Blättern: Rote Barbarei ohnegleichen. Der Vatikansender wertete die Tat als neuerlichen Beweis für das Vorhandensein des Bösen, und Fernsehgesellschaften in den Staaten und Europa nahmen den Vorfall in ihre Nachrichten auf, was wiederum Schlagzeilen in der Regionalpresse machte. Die meisten Bewohner Infantas genossen den unerwarteten Ruhm ihres Ortes. Skeptiker wie Butterworth sprachen von einer Laune der Weltöffentlichkeit, Verletzbare wie Hauptmann Narciso von einem Schachzug der Programmgestalter, die auf eine unterhaltsame Revolution im Land setzten. Nur den Allerärmsten blieb der Hauch von Prominenz völlig verborgen.
Die Lösegeldforderung für Pio De Castro lag inzwischen bei einhunderttausend Dollar. Auch unabhängige Zeitungen verbreiteten, die Volksarmee stecke hinter der Entführung und dem furchtbaren Mord; Verdächtige wurden genannt. Unter den ersten ausländischen Journalisten, die sich der Wahl wegen in der Hauptstadt aufhielten, machten Namen wie Oscar Daturok oder Gringo Lomugda die Runde. Wer solchen Namen nicht traute, bemühte sich um einen Termin mit der Kandidatin der Opposition. Alle Wege zu der Tapferen Witwe führten über ihre geistlichen Berater; sie waren telefonisch erreichbar, bis ein Ereignis eintrat, das ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit dem Stigma des Überlebenden, aber von seinen ausladenden Brüsten befreit, hatte Pio De Castro, nachdem er mit verbundenen Augen aus einem Wagen gehievt worden war, die Pfarrhütte einer entlegenen Gemeinde betreten. Wie er später berichtete, verlor der Dorfpfarrer beim Anblick seines Bischofs keinen Moment lang die Fassung. Er holte sein Motorrad vom Hof, prüfte die Luft im Hinterrad, informierte De Castro über alle jüngsten Ereignisse und brachte ihn in Rekordzeit nach Hause. Kaum eingetroffen, ordnete der Bischof die Aufbahrung von Schwester Angel vor dem Altar an, ferner eine Zusammenkunft sämtlicher Kirchenvertreter sowie eine Gedenkprozession am selben Abend.
Bald standen die ersten Trauernden an Schwester Angels Sarg und sahen durch ein Glasfenster auf den nach Absaugen aller Körperflüssigkeit geschrumpften Kopf der Toten. Mit stummem Entsetzen betrachtete Mayla das Gesicht der Freundin, mit der sie im Schwesternhaus das Zimmer geteilt hatte. Durch die Verschleppung und den gewaltsamen Tod, die Tage im Maisfeld und einige Zeit zwischen tropfenden Eisblöcken in einer Kammer auf dem Gelände der Polizei, aber auch durch das Präparieren erschien es ihr um fünfzig Jahre gealtert. Um die von einem Ohr zum anderen durchtrennte Kehle hatte man ein Band aus weißen Blüten gelegt. Mayla weinte nicht; statt dessen schwieg sie. Seit Auffinden der Leiche war sie nur einmal gesehen worden. Sie war in Gussmanns Laden gegangen, und Flores vertrat sie seitdem auf der Station.
Die Alten hatten diesen Wechsel sofort geschmeckt, jedoch nicht kommentiert. Flores, von der Mission erfüllt, zwischen Wilhelm Gussmann und seinen einstigen Brüdern wieder einen Faden zu knüpfen, gab sich alle Mühe. Ihre Küche war nicht so zart wie die von Mayla, dafür fettreicher. An Zurückhaltung gewöhnt, vermied sie es, sich in der Durchreiche sehen zu lassen oder gar von Gussmann zu sprechen; sie übergab nur einen Brief, den kürzesten, den Kurt Lukas je von einer Frau erhalten hatte. Warte bitte, M. Er öffnete und las ihn bei Tisch, und auch das blieb unkommentiert, so wie sein immer noch zerschundenes Gesicht. (»Rempelei in der Bude«, hatte er dazu nur gesagt, und alle späteren Bemerkungen beschränkten sich auf kosmetische Ratschläge.)
Trauer und gebremste Wut, stille Gebete und Strenge gegen sich selbst bestimmten das Leben der Priester in den Tagen nach dem Leichenfund. Auf der Station war es ruhiger geworden, aber im Stundenplan hatte sich nichts geändert. Ohne zu vergessen, was den Ort erschüttert und die übrige Welt einen Atemzug lang berührt hatte, gingen die fünf vor dem Abendessen ihren gewohnten Beschäftigungen nach, jeder für sich und doch mit einem Auge auf dem Tun des anderen. McEllis schrieb. Er hatte einen Brief an Gregorio begonnen, nachdem Butterworth gefragt hatte, ob jemand einer Sendung nach Rom etwas beifügen möchte. Dalla Rosa sortierte. Pacquin zog seine Zwanzigminuten-Bahn, Anrichte, Leseecke und zurück. Augustin lauschte dem Gesang aus der Bude. Horgan träumte; Wimbledon, Herrenfinale.
Und der Gast las oder tat so. Kurt Lukas las mal in einem Shakespeare-Sonnett, mal in einem Buch über Missionen in
Weitere Kostenlose Bücher