Infanta (German Edition)
sich auf den Fuß, sie tauchte ihre Finger in den Reis und formte ihn zu Klumpen. Mit einer Hand führte sie die feuchten Klumpen zum Mund, mit der anderen spritzte sie eine Würzflüssigkeit in die weißliche Masse. Sie sprach nicht, sie aß. Erst als die Schüssel leer war, sah sie auf.
»Wann fliegst du nach Hause?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber du wirst fliegen . . .«
»Ich werde nicht sterben hier.«
»Natürlich nicht.« Sie räumte den Tisch ab. »Bist du reich?« fragte sie plötzlich.
»Was heißt reich?«
»Reich heißt reich«, sagte Mayla.
»Im Vergleich zu dir bin ich reich. Was wirst du im Monat bekommen, wenn du dein Studium geschafft hast?«
»Als Religionslehrerin? Vielleicht vierhundert Pesos.«
»Also zwanzig Dollar im Monat«, sagte Kurt Lukas. »Ich bekomme manchmal zweitausend Dollar. An einem Tag.«
Sie spülte den Reisnapf und stellte ihn zum übrigen Geschirr. Dann bürstete sie ihr Haar.
»Was tust du dafür, damit man dir zweitausend Dollar an einem Tag gibt?«
»Ich lasse mich fotografieren.«
»Bist du ein Filmstar?«
»Höchstens für zwanzig Sekunden. Ich hebe irgendeinen Gegenstand auf, einen Stift, sagen wir, und reiche ihn der Frau, der er entglitten ist, wir streifen uns kurz – sie war im Begriff, sich zu bücken –, ich lächle, sie riecht mein Haarwasser, Ende. Ich bin kein Filmstar.«
Mayla rauchte wieder. Mit der anderen Hand bürstete sie weiter ihr Haar, mit der immer gleichen, ruckartigen Bewegung von der Stirn bis in den Nacken. »Und warum will man dich dann fotografieren?«
»Weil ich so aussehe, wie ich aussehe. Oder aussah.«
»Hast du Angst, kein Geld mehr zu verdienen? Kein schönes Gesicht, keine Fotos; keine Fotos, kein Geld. Kein Geld« – sie warf die Zigarette in den Hof –, »kein Leben.« Er lachte, und sie bat ihn zu erzählen. »Von deiner Arbeit«, sagte sie.
»Da gibt es nichts zu erzählen.«
»Du mußt dich nur erinnern.«
»Setz dich zu mir.«
Mayla kam zu ihm; er nahm ihr die Haarbürste weg. Woran sollte er sich denn erinnern. An einen bestimmten Tag? An seinen ersten Erfolg? An seine Agentin in Mailand? – Er hätte sie längst anrufen müssen. An seine Millimeterarbeit vor den Kameras, an die alten Titelseiten mit ihm? An die Momente, wenn er ein Lokal betrat und die Gespräche leiser wurden? An die Wochen ohne Arbeit, sein Streunen durch Rom, wenn Beatrice nicht aus Mailand anrief, laut und heiser sagte, Nächste Woche, New York. Alles floß ineinander und war nicht zu erzählen. Da gab es Strände und Buffets, zu jeder Jahreszeit Sonne und verrückte Gestalten, Tage in Hotelzimmern und Nächte in Studios. Da gab es Mädels und Frauen, Pressedamen und Begleiterinnen, Firmenvertreter und Modezaren, Fotografen, Beleuchter und irgendwo ihn. Er zählte dazu, zuletzt in Paris, Avenue Montaigne – dreihundert schöne Menschen, aus Trüffeln geschnitzte Maiglöckchen auf jedem Tisch, dazu eine Show, er wußte nicht mehr, mit wem, und auf dem Weg zur Toilette ein kurzes Hinundher mit Elisabetta Ruggeri, wenn er sich richtig erinnerte, ein unbedeutender Streit, fast schon ein Flirt.
»Wirst du auch hier fotografiert?« fragte Mayla.
»Hier, wieso? Nein. Ich hatte in Singapore zu tun.«
»Aber kamst dann hierher.«
»Weil es nahelag. Gerade drei Flugstunden.«
»Und was hattest du in Singapore zu tun?«
»Was hatte ich zu tun; es ging um ein Hotel, eigentlich um die ganze Stadt, ein Feldzug für Singapore. Man fotografiert mich für Anzeigen, okay? Ich betrete ein teures Hotel, ich trage einen teuren Anzug, ich halte einen Diamanten mit den Zähnen. Ich habe alles gemacht.«
»Erzähl mir davon.«
»Ich sagte doch, es geht nicht, okay?« Wie Schluckauf drängte sich dieses atemlose Okay in seine Rede.
»Bist du auch auf Wahlplakaten?«
»Einmal war ich es, einmal, in Deutschland. Die Partei hat später verloren. Ich sagte doch: Mit Teurem. Uhren, Champagner, Sofas. Ein italienisches Sofa sieht neben mir besser aus als neben dem, der es irgendwann kauft. Alles wirkt verändert neben mir.«
»Ich auch?« fragte Mayla.
Kurt Lukas schwieg, als bedeute jedes weitere Wort eine Gefahr. Er spürte Maylas Stirn an seinem Rücken und plötzlich ihr ganzes Gewicht.
2
T age später fand man Schwester Angel mit durchschnittener Kehle. Maisbauern stießen in ihrem Feld auf die Leiche, sie zeigte schon Spuren von Verwesung. Bis zum Abend wußte ganz Infanta von dem Fund, und am nächsten Morgen hieß es in regierungstreuen
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