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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Paraguay; er las in einer Biographie Henry Fords und in einem Wörterbuch für Cebuano, in einem Roman von Faulkner und in Geographie-Magazinen, in einem Hausbuch über Thomas Edison und schließlich in einem weiteren Werk zur glorreichen Geschichte der Gesellschaft Jesu, diesmal von einem Pater Gysin, S. J., St. Gallen 1954.
    »Katastrophal«, bemerkte Dalla Rosa dazu.
    Tagelang hatten die Alten zu dem Lektürewirrwarr ihres Gastes geschwiegen. Mit Dalla Rosas Katastrophal zu Pater Pathos, wie sie Gysin getauft hatten, war es vorbei mit dem Schweigen. Sie erkundigten sich nach seinem Lieblingsbuch, er nannte eine Erzählung, von der Elisabetta Ruggeri an dem Abend auf seiner Terrasse gesprochen hatte; sie erkundigten sich nach seinem Lieblingsautor, er stellte sie wieder zufrieden. Beiläufig erkundigten sie sich dann auch nach seiner Lieblingsbeschäftigung, er antwortete Bummeln, »Looking for something«, und mit der besorgten Miene von Ärzten erkundigten sie sich endlich nach seiner Liebe. »Ich habe Mayla eine Weile nicht gesehen«, sagte er. »Vielleicht wissen Sie , was mit ihr ist.«
    Niemand wußte etwas Genaues. Während Pacquin und Horgan die Ansicht vertraten, Mayla trauere und habe sich deshalb zurückgezogen, redeten Butterworth und Dalla Rosa von einer Reaktion auf die Veränderung in ihrem Leben, einer Gefühlsverwirrung. McEllis formulierte es deutlicher, er sprach von Liebeskummer und löste eine lebhafte Erörterung aus. Mit der Frage, was Liebeskummer von Trauer unterscheide, ja, was Liebeskummer überhaupt sei und ob er sich lohne, wie Augustin, einen alten Schlager zitierend, einstreute, ging man zu Tisch und verlor sich bald in kühnen Spekulationen; keinem der Alten fiel der leichte Limonengeschmack im Artischockenbrei auf, die gesüßten Karotten und Rosinen im Reis, der Löffel Honig in der Milch und die entfernten Schwarten. Mayla war wieder da.
    Sie stand neben ihrer Bühne und horchte. Während der ruhigen Mittagsstunde hatte sie mit Flores getauscht.
    »Verliebte leben in einer eigenen Welt«, gab McEllis gerade zum besten. »Sie haben ihre eigene Landkarte, ihren eigenen Kalender, ihr eigenes Wetter. Man muß ihnen eine gewisse Umnachtung zubilligen.« Er entzündete seine Pfeife und sah über die Streichholzflamme: »Widerspruch, Mister Kurt?« – »Nein, im Gegenteil.« Dem folgten Kommentare zum Begriff der Umnachtung. Liebe sei keine Geisteskrankheit, warf Butterworth ein. Aber unterjoche sie einen Menschen nicht, entgegnete Dalla Rosa, besonders wenn er begehre? Und er erinnerte an Gussmann, worauf alle durcheinandersprachen, der Erleichterung Ausdruck gaben, daß dieser nun gebremst worden sei. Mayla nahm sich eine Zigarette, ohne sie anzustecken. Ihr Name fiel und klang seltsam fern; es war das erste Mal, daß sie lauschte und spähte. Durch einen fingerbreiten Spalt sah sie die ganze Tischrunde. Nichts entging ihr. Sie sah die versunkene Aufmerksamkeit des Superiors und Dalla Rosas Augenspiel mit der Hündin, eine schwache Farbe auf Butterworth’ Wangen und Horgans Blick auf seine neuen Schuhe; sie sah Augustins gespanntes Gesicht, und sie sah ihn , den Mann, den McEllis mitgebracht hatte.
    Seit dessen Ankunft mit dem Moped war ihr das Leben auf der Station völlig verändert erschienen, obwohl sich alles abgespielt hatte wie sonst auch, wenn das Haus einen Gast bekam. Es wurde um ein weiteres Gedeck gebeten, man fragte sie, ob das Einkaufsgeld reiche, man erhob sich nicht sofort nach dem Essen, der Bourbon nahm rascher ab – und doch war alles anders. Die ganze Wirkung einer Menschengestalt hatte auf das Haus und seine Bewohner übergegriffen, den nach flüchtiger Greisentoilette und staubigen Büchern riechenden Gemeinschaftsraum in ein duftendes Theater verwandelt, die Durchreiche in eine Bühne, die alten Zuschauer in junge Mitwirkende, das Mobiliar in Requisiten. Die Station hatte einen Gast, der sein eigenes Gastgeschenk war; die Alten hatten dieses Geschenk angenommen und Mayla damit aufgefordert zu lieben. Und sie liebte. Seit den Stunden mit ihm erwachte sie nachts und vermißte seine Hände; alle Stunden ohne ihn waren maßlos. Oft glaubte sie, ihn atmen zu hören, und sprach seinen Namen aus und konnte dann nicht anders, als auch an die Freundin zu denken, an ihren kleinen welken Kopf mit dem Gebinde um die Kehle. Dieses Bild drängte sich einfach dazu, trotz ihrer Übung im Vergessen. Fast nie dachte Mayla an den Anblick ihrer toten Familie und selten an die

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