Infanta (German Edition)
Abhang führte in ein kleines Tal; ein Gebäude tauchte auf. Es stand am Rande des Hangs und war aus Holz und eingeschossig, mit einer Veranda vor dem Eingang. Verglichen mit den Häusern im Ort erschien die Bauart pedantisch.
»Wir sind da, Mister Kurt.«
Der Deutsche hielt an, das konnte er jetzt. McEllis befreite die Hündin aus ihrem Verstau, mit der anderen Hand faßte er sich an den Steiß. »Für mich war das ein bißchen unbequem, für Sie ein bleibendes Erlebnis.« Er zeigte auf den Sendemast. »Das Werk von Wilhelm Gussmann, ein Landsmann von Ihnen.« McEllis ging über ein Treppchen auf die Veranda und führte seinen Gast in einen Flur. Dünner Gesang drang durch die Wände. »Das sind die anderen, Mister Kurt, wir müssen leise sein.« Er hob die Hündin vom Boden und schritt auf Zehenspitzen voraus. Mit dem Ellbogen öffnete er eine Tür. »Unser Gemeinschaftsraum. Da sitzen wir abends, da besprechen wir alles, da nehmen wir die Mahlzeiten ein; und hinter der Durchreiche dort« – er machte eine vage Handbewegung – »kocht man für uns.«
Weiches Abendlicht schien ihnen entgegen. Es drang durch Sträucher vor den Fliegengittern, bildete zitternde Flecke auf einem Tisch und nahm zwei Bücherwänden ihre Schwere. Eine Klappe in der Durchreiche ging auf, und milder Grießgeruch zog in den Raum; zwischen dampfenden Töpfen glänzte ein Arm. McEllis winkte den Deutschen in einen Gang mit Türen zu beiden Seiten, die hinterste sperrte er auf.
»Unsere Gästekammer. Mit Balkon.«
Er setzte die Hündin ab und schaute sich um. »Handtücher sind da, Insektenspray steht auf dem Tisch, Toilettenpapier ist vorhanden, das Bett ist bezogen. Nichts fehlt, Mister Kurt. Ich lasse Sie jetzt mit West-Virginia allein. Sie ist übrigens gedeckt worden, während ich meine Einkäufe gemacht habe. Wir sehen uns zum Abendessen, gegen sieben.« Der Priester verließ die Kammer und holte tief Luft. In seinem Gesicht lag der Ausdruck eines Sammlers, dem ein besonderes Stück in den Schoß gefallen ist.
S ah den Deutschen auf den Balkon gehen, beneidete ihn um den ersten Blick. Über den Kuppen auf der anderen Seite des Tals schwebte wie immer ein Wolkenband. Mit seiner Unbewegtheit schien es alle Geräusche zu dämpfen und dabei doch aus der Stille zu heben. Wahrscheinlich hörte unser Gast den eigenen Herzschlag, während er den Geruch warmen Holzes aufnahm und die Guave berührte, die neben der Brüstung wächst.« McEllis machte sich Notizen; er stand auf der Terrasse der Station. »Mister Kurt staunte dann wohl über die baldachingroßen Blätter der Bananen und die terrassenartig gestaffelten Kronen turmhoher Bäume, über das Geschlinge, aus dem sich ihre Stämme erheben, Blütenketten von leuchtendem Blau bis zu fleischigem Rot, und sah das ganze Wuchern in ein Gewirr aus Farnen und geknicktem Bambus münden, aus toten Bäumen und krausem Buschwerk, einen abgesunkenen Garten.«
Der Priester steckte seinen Block ein und schaute über das Tal. Das Wolkenband wechselte die Farbe. Es wurde blaß, es lockerte sich, und einzelne Wolken nahmen Gestalt an, bevor sie im Dunkel versanken. Die Nacht brach herein, schon sandten Glühwürmchen ihre lautlosen Botschaften. Wie aus der Welt entlassen erschiene dem Gast jetzt alles, dachte McEllis, wie ein unerzählbarer Traum. Etwas benommen kehrt Mister Kurt in seine Kammer zurück und dreht die Nachttischlampe an. Auf ihrem Sockel erglüht ein ewiges Licht, für einen Lutheraner sicher ein Schrecken. Aber er läßt es brennen und betrachtet das Inventar bei intimer Beleuchtung. Das Schränkchen, den Tisch, einen Stuhl; das gußeiserne Waschbecken ohne Spiegel, den steifen Duschvorhang, das schmale Bett. Irgendwann streicht die Hündin an ihm vorbei, zweiter Schrecken. Er sieht, wie sie durch eine ausgesägte Öffnung am Fuße der Tür mit einem Kratzgeräusch entschlüpft, und wundert sich; wird aber auch neugierig und verläßt die Kammer. Und immer noch mitgenommen von seiner Jungfernfahrt auf einem Moped, erscheint er dann zum Abendessen . . .
»Er kam ganz leise«, schrieb McEllis noch in der Nacht in ein Wettertagebuch, das auch seine privaten Notizen enthielt. »Plötzlich trat er aus dem Gang und stand vor uns, und ich sagte, dies also ist Mister Kurt, Deutscher aus Rom! Die Brüder nahmen ihre Zahnstocher aus dem Mund, wandten die Köpfe ein wenig und betrachteten ihn, als bekämen sie nur gelegentlich einen Menschen zu sehen und niemals aus solcher Nähe. Es dauerte
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