Infantizid
möglichen Grenzposten ab. Es war nichts zu sehen. Sie legten sich auf den Boden und schlichen langsam vorwärts. Nach nur zehn Metern gab PaweŠerneut das Zeichen, anzuhalten und sich still zu verhalten.
»Verdammt. Was halten wir schon wieder an? Es ist doch nichts zu sehen?«, fragte Dariusz ungeduldig.
Zbigniew kroch zu seinem Bruder und flüsterte: »PaweÅ redet zwar nicht viel, aber er kennt sich aus und hat Instinkte wie ein Tier. Du bist ein Trampel aus der GroÃstadt, das wird sich nie ändern. Wenn er meint, wir sollen stoppen, dann stoppen wir. Und jetzt halt die Klappe. Ich gehe zu ihm und frage, was los ist.« Damit kroch er zu PaweÅ und blickte ihn fragend an.
»Ich weià nicht genau, etwas Ungewöhnliches geht hier vor sich. Als ob wir beobachtet würden. Ich kann bis jetzt nur nichts Auffälliges entdecken. Wir bewegen uns keinen Millimeter, bis ich das Zeichen gebe.«
Während er flüsterte, lieà er das Fernglas an seinen Augen und schaute sich konzentriert um. Sämtliche Sträucher und Bäume suchte er vom Erdboden bis zu den Baumkronen ab. Dann hielt er an einer Stelle inne. Zbigniew verfolgte mit seinen Augen die Richtung, die PaweÅ anvisierte. Dann sah er einen groÃen schwarzen Raben auf einem zweiglosen Ast. Er verhielt sich ebenfalls ganz still und schaute unablässig in ein und dieselbe Richtung. PaweÅ folgte dem Blick des Vogels. Nur durch sein geschultes Auge konnte er den Kadaver erblicken. Ein Reh oder ein junger Hirsch lag dort aufgebrochen unter einem Gebüsch. Sein Blick ging zurück zum Baum. Ein paar Bäume weiter hinter ihm saà in einer Reihe ein weiteres Dutzend dieser schwarzen Vögel. Ungewöhnlich, dass keiner einen Laut von sich gab. Warum? Und wieso flog er nicht zu dem frischen Aas? Erneut schwenkte er das Fernglas zu dem toten Tier. Wo bist du?, dachte er. Und dann erregte eine Bewegung seine Aufmerksamkeit. Ganz schwach nur, aber PaweÅ war ein geübter Jäger und konnte den Verursacher ausmachen. Es gab ihn also doch! Den Bären, von dem die Leute immer berichteten. Er lag zusammengerollt ein Stück neben dem Kadaver und hielt offensichtlich seinen Verdauungsschlaf. Das getötete Tier war bestimmt verletzt gewesen. Es war nicht zu fassen, es gab hier in dieser Gegend wirklich noch oder wieder Bären. PaweÅ konnte das gleichmäÃige Auf und Ab seines mächtigen Körpers sehen. Die Stille war es, die mich stutzig werden lieÃ, dachte er. Und wenn Raben still sind, erregt etwas Wichtiges ihre Aufmerksamkeit.
PaweŠstupste Zbigniew ganz leicht mit dem Ellenbogen an und deutete auf den Bären. Als er ihn ebenfalls sah, genügte ein Blickkontakt zwischen ihnen und eine Kopfbewegung von PaweŠforderte zum Rückzug auf. Sie krochen zurück zu den anderen und berichteten von ihrer Beobachtung.
»Ein Bär? Wie kommt denn ein Bär hierher?«, fragte Dariusz ungläubig.
»Wahrscheinlich von weiter nördlich aus der russischen Enklave. Keine Ahnung. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu töten. Dazu müssen wir dicht an ihn heran«, entgegnete PaweÅ.
»Ich mache das. Ich nehme meine MP 5 SD. Die hat ein Zielfernrohr und einen Schalldämpfer«, schlug Arndt vor.
»Einverstanden. Versuche, so nah wie möglich heranzukommen. Wir beobachten die Gegend. Viel Glück, mein Freund«, antwortete Zbigniew.
Arndt zog sich, auf dem Bauch liegend, Stück für Stück mit seinen Armen vorwärts. Dabei hielt er die Maschinenpistole mit beiden Händen vor sich. In Höhe des Maschendrahtzaunes fand er eine geeignete Stelle, um den Bären ins Visier zu nehmen. Er korrigierte die Entfernung an seinem Zielfernrohr und legte an. Mit einem plötzlichen Geschrei erhoben sich, wie auf Kommando, alle Raben. Sie krakeelten ohrenbetäubend laut und flogen davon. Der Bär erwachte im selben Moment. Das Gekrächze hatte ihn offensichtlich erschreckt, doch die Warnung der Raben kam für ihn zu spät. Ein einziger Schuss zwischen die Augen streckte ihn sofort nieder. Noch ehe sein schöner, starker Körper auf dem Boden aufschlug, war er bereits tot. Es war kurz vor 13 Uhr.
Um 10 Uhr hatte der Hesse das Hotel in Frankfurt/Oder verlassen. Kurze Zeit später musste er schon wieder eine Zwangspause einlegen. Ein Stau am Grenzübergang zu Polen hielt ihn geschlagene zwei Stunden auf. Die deutschen
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