Infantizid
Bordwand gähnte ein schwarzes Loch.
Matti Klatt zog seine Schutzbrille über die Augen, kontrollierte noch einmal den Ãffnungsmechanismus seines Fallschirms und sprang aus dem Flugzeug. Unmittelbar danach überschlug er sich mehrmals, bis er seinen freien Fall stabilisiert hatte. Nun behielt er den schwach erleuchteten Höhenmesser im Auge. 1.000 Meter. Seine Fallgeschwindigkeit wurde immer gröÃer und der kalte Wind schnitt ihm ins Gesicht. In 400 Metern Höhe öffnete er seinen Schirm. Kurze Zeit später hing er unter der rechteckig geformten Fallschirmkappe. Er drehte eine 360-Grad-Kurve und sah die hell leuchtenden Fackeln am Boden. Nach weiteren drei Minuten Flug landete er ein paar Meter neben einem Mann, der gerade dabei war, seine Magnesiumfackel zu löschen.
»Willkommen in Litauen«, sagte er.
Es war 3:30Â Uhr Ortszeit, Sonntagmorgen, der 2. November 2003.
In Berlin bestiegen Hauptkommissar Bräunig, Oberkommissar Hubaczek und Innenminister Schilling eine Sondermaschine der Bundeswehr in Richtung München. In ihrem Gepäck befand sich der Angriffsplan zur Zerschlagung des Unternehmens âºEiserne Faustâ¹. Keinen Kilometer von Matti Klatts Landepunkt entfernt, saÃen Peter Arndt und sein Freund Zbigniew in Einzelzellen der Schwarzen Division. Und sechs Stunden vorher hatte PaweÅ Arndts Satellitentelefon unter der Leiche des Hessen entdeckt.
Sonntag, 2. November 2003, 14  Uhr, Flughafen München
Colonel Philipe Laurent war ein Mann der schnellen Entschlüsse. Er hasste es, lange um den heiÃen Brei herumzureden. Er bezeichnete sich selbst als Macher. Und sein Beruf brachte es mit sich, dass er innerhalb kürzester Zeit möglichst richtige Entscheidungen treffen musste, denn meistens hing das Leben vieler Menschen davon ab. Er war Chef der Groupe dâIntervention de la Gendarmerie Nationale, kurz GIGN, der französischen Anti-Terroreinheit. Seine Verblüffung war nur von kurzer Dauer gewesen, als ihm seine Frau am gestrigen Samstag mitgeteilt hatte, der französische Staatspräsident Lavalle sei am Telefon. Colonel Laurent war Jean Lavalle persönlich bekannt, in vielen Einsätzen waren Mitglieder seiner Einheit bei unzähligen Empfängen für dessen persönliche Sicherheit verantwortlich gewesen. Allerdings hatte er ihn noch nie selbst angerufen und um ein Gespräch unter vier Augen gebeten.
Also, wenn der Präsident der Fünften Republik um eine Unterhaltung bittet, lässt man ihn nicht warten, dachte er. Sie trafen sich im Ãlysée-Palast, dem Regierungssitz Frankreichs. Jean Lavalle berichtete dem Colonel von der Bitte seines Freundes, des deutschen Bundeskanzlers Schreiber. Einzelheiten habe er nicht genannt, so Lavalle, nur dass die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf das ÃuÃerste gefährdet sei. Und dazu benötige man die Unterstützung der französischen Anti-Terroreinheit.
»Fliegen Sie als Privatperson nach München, Colonel. Zu niemandem ein Wort und bieten Sie den Deutschen unsere maximale Unterstützung an. Sie werden dort weitere sieben Ihrer Kollegen aus anderen europäischen Ländern treffen. Wenn Sie zurück sind, erwarte ich persönlich Ihren Bericht«, sagte der französische Staatspräsident.
Colonel Laurent stellte keine weiteren Fragen und fuhr wieder nach Hause. Unterwegs informierte er seinen Stellvertreter, Oberstleutnant Reno, dass er, Laurent, wahrscheinlich für zwei Tage nicht erreichbar sein würde. Reno antwortete mit einem knappen »in Ordnung« und legte auf.
Heute Morgen hatte sich Colonel Laurent von seiner Frau mit den Worten: »Ich bin nicht länger als zwei Tage unterwegs«, verabschiedet. Er fuhr mit dem Taxi in Richtung Flughafen Orly. Seine Maschine sollte in zwei Stunden Richtung München starten.
Kurz vor 14 Uhr betrat der letzte noch fehlende Chef der Polizeisondereinheiten den Konferenzsaal des Hotels âºKempinskiâ¹, direkt am Flughafen München, welches man über die A 92 erreicht. Es war Oberst SÅawomir Petelicki, der Mann, der im Jahr 1991 das erste Team der polnischen GROM aufgestellt hatte. Er hatte schon zu Sowjetzeiten die Idee für eine polnische Spezialeinheit gehabt, war aber bei den Russen auf wenig Gegenliebe gestoÃen. Sie fürchteten, dass diese einen Guerilla-Krieg gegen sie führen könnte. Nach dem politischen Wandel in Polen änderte
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