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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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aufzuhängen und dabei über die Kurzporträts zu diskutieren, mit denen in der Abizeitung jeder einzelne auf den Arm genommen werden sollte, liebenswert und augenzwinkernd, versteht sich.
    Aber Myriam war der Ansicht, es stärke meine unterbewusste Entschlossenheit, die Nachprüfung zu bestehen, wenn wir so taten, als habe ich sie schon bestanden, als sei ich wieder auf Augenhöhe mit dem Rest des Jahrgangs und selbstverständlich als Zeugnisempfänger dabei und nicht als der arme Tropf in ihrer Begleitung. Mir war alles recht, Hauptsache wir waren zusammen.
    Der Rosensaal war ein altes Theater, das später zum Tanzsaal umfunktioniert worden war. Das Foyer mit seinen zwei geschwungenen Treppenaufgängen links und rechts und der Garderobe frontal gegenüber der Glas-Flügeltüren des Eingangs erinnerte an die früheren Zeiten. Myriams Freundinnen Saskia und Britta waren noch zeitiger dran gewesen als wir, sie hatten auf der Theke der Garderobe gesessen und stürmten jetzt auf Myriam ein.
    Ich stand derweil recht verloren herum, betrachtete die Treppenaufgänge und musste an etwas denken, ich wusste nur nicht was. Es hatte mit den Lumpen in meinen zerfetzten Jeanstaschen zu tun und mit dem kleinen Knochen.
    „ Hallo Sebastian.“
    Die Stimme kam von direkt hinter mir. Ich assoziierte sie mit einer unangenehmen Situation, erschrak und fuhr herum.
    „ Nun machst du die Nachprüfung also doch mit?“
    Das warst du, Vera, das war unser zweiter Kontakt im Zusammenhang mit dem Verlauf der Ereignisse. Aber ich sollte ja so tun als sei dies ein Roman und du nur eine der Figuren, und so sei es:
    „ Nun machst du die Nachprüfung also doch mit?“, fragte Vera Tangel. Kaum hatte ich sie erkannt, löste sich die Anspannung, und ich lächelte.
    „ Hallo. Ja, ich versuch mal mein Glück.“
    Sie stellte zwei Henkelkörbe mit Besteck und Geschirr ab, trat zu mir heran und schaute mich in einer Art an als wisse sie viel mehr über mich als ich über sie. Wie immer trug sie ihre lila Latzhose und irgendeinen ausgeleierten Pullover. Die kupferrote Mähne hatte sie nach hinten gebunden, aber wilde Strähnen sprangen aus dem Zopf hervor.
    „ Dein Verhalten bei der Prüfung“, sagte sie leise, und mir verging das Lächeln. „Da steckt doch mehr dahinter als nur ein stressbedingter Aussetzer, oder?“
    Ich schluckte und musste an meine Zeichnung des Schloss-Grundrisses denken und die beiden Treppenaufgänge hier im Foyer. Da fügten sich zwei Puzzle-Teile zusammen, aber noch sah ich das Gesamtbild nicht.
    „ Das rechne ich dir übrigens an“, sagte ich, „dass du versucht hast, mich bei der Prüfung zur Besinnung zu bringen. Tut mir leid, wenn ich grob reagiert habe.“
    „ Schon gut. Hast du irgendwelche Probleme? Ich meine, grundsätzliche?“
    Ich hob den Kopf wie zur Witterung – keine Probleme im unmittelbaren Verzug. Ich schüttelte energisch den Kopf und grinste.
    „ Mir geht’s blendend.“
    „ Na dann.“
    Sie bückte sich nach ihren Körben, und ich beeilte mich, ihr einen davon abzunehmen.
    „ Wohin damit?“
    „ Einstweilen in die Garderobe.“
    Der Korb war verdammt schwer, und ich staunte, wie scheinbar mühelos Vera beide zusammen hereingetragen hatte. Sie wirkte nicht zerbrechlich, da sie recht groß war, aber sie war doch sehr schlank. Sie hob, ohne den Korb abzusetzen, das Klappbrett zum Garderobenzugang, und ich folgte ihr.
    „ Da drunter bitte.“
    Ich schob den Korb neben ihren unter die Garderoben-Theke und fragte:
    „ Was wird das überhaupt?“
    „ Ich bin fürs Buffet zuständig.“
    „ Du – allein? Fürs ganze Buffet?“
    Sie lachte, zog ein Kärtchen aus ihrer Latzhosen-Brusttasche und überreichte es mir feierlich.
    „ Veras Bioladen“, las ich erstaunt vor. „Inhaberin Clarissa Tangel.“
    „ Hast du das nicht gewusst?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „ Hab ich schon seit zwei Jahren. Ist aber auf meine Mutter angemeldet, wegen Minderjährigkeit und so. Jetzt bin ich zwar über 18, aber wir lassen das einstweilen. Wir bieten auch einen vegetarischen Partyservice, und den hat die Schule ganz offiziell für den Ball geordert.“
    Ich verzog anerkennend die Mundwinkel und wollte ihr das Kärtchen zurückgeben. Sie hob die Hand und lächelte.
    „ Kannst du behalten. Vielleicht schaust du ja mal im Laden vorbei.“
    „ Sebastian, kommst du?“, rief Myriam, und ich sah, als ich mich zu ihr umdrehte, mehr als nur die ausgesprochene Frage in ihrem Blick.
    „ Alles klar“, sagte ich zu
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