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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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blaue Scheusal auf, bevor es auf meiner Brust landen und mich umwerfen konnte. Es zerfranste, zerfaserte, zertropfte in der Luft, verschwamm und verbleichte, hörte auf sichtbar zu sein – hatte sich in seine Dimension zurückgezogen, aber war nach wie vor im Raum und haftete mir und Myriam an. Und ich wusste, es würde hocken bleiben, so lange wir hier waren, und uns überall hin folgen, sobald wir gingen. Wenn es überhaupt vertrieben werden konnte, dann nicht durch Medizin und Apparate, sondern einen Weg, den ich zu finden hatte.
    Myriam sah zu uns her und versuchte ein Lächeln. Unser Erschrecken über ihren Hustenkrampf löste sich, und wir eilten zu ihr ans Bett. Die Schwester war gerade dabei, ihr den Schweiß von der Stirn zu wischen. Myriam leckte sich über die Lippen, und auf einmal sah sie aus, als hätte sie dick Lippenstift aufgelegt: feucht und blutrot.

Kapitel 14: Ende eines Lebensabschnittes
     

    „ Und, kannst du mich so mitnehmen?“
    Meine Mutter stand am Fuß der Treppe im Flur und hielt sich ein blaues Kleid vor den Körper. Unten schauten ihre Hosen und Hausschuhe heraus.
    „ Ich weiß nicht, was du meinst“, murmelte ich und wollte mich an ihr vorbeidrücken zur Haustür. Myriam sollte heute von der Intensivstation in ein normales Krankenzimmer zurückverlegt werden, und da war es Zeit, ihr etwas zu beichten. Mir war speiübel deswegen.
    „ Was ich meine?“, fragte meine Mutter mit einer Mischung aus scherzhafter Verwunderung und aufkommender Empörung. „Ich meine den Ball heute Abend! Darf ich etwa nicht dabei sein, wenn mein Sohn sein Abiturzeugnis bekommt?“
    „ Ich geh da nicht hin“, antwortete ich knapp. Ich war schon halb an ihr vorbei und wollte zur Tür des Windfangs am Hauseingang greifen. Sie packte mich am anderen Handgelenk und zerrte mich zurück.
    „ Was soll das heißen?“
    Langsam drehte ich mich um, und wir sahen uns in die Augen. Ihr Angriff verschaffte mir einen Vorwand, wütend zu werden statt kleinlaut, und das gab mir Kraft. Ich wollte mein Handgelenk losreißen, aber sie hielt es mit erstaunlicher Kraft gepackt, während sie den anderen Arm hatte sinken lassen und ihr Kleid auf dem Boden schleifte.
    „ Wenn du’s genau wissen willst, dann heißt das, ich bin durchgefallen.“
    „ Das ist nicht dein Ernst.“
    „ Leider doch.“
    „ Seit wann weißt du das?“
    „ Das spielt doch keine Rolle, und ich hab jetzt auch keine Zeit für lange Erklärungen.“
    „ Seit wann?“
    „ Schon gleich nach Mathe. Ich hab die Nachprüfung mitgemacht, aber das hat auch nicht geklappt.“
    „ Nicht geklappt, aber... wieso?!“
    „ Ich bin eben durchgefallen. Das lässt sich jetzt sowieso nicht mehr ändern.“
    Sie schüttelte den Kopf und hielt nach wie vor mein Handgelenk umkrallt. Ich zog daran, nicht fest, nur als Aufforderung.
    „ Dürfte ich dann...“
    Ihr Griff schnappte auf.
    „ Euch kann’s ja schließlich egal sein“, sagte ich matt.
    „ Egal?“, fragte sie mit aufkommender Verärgerung. Ich war schon an der Haustür und öffnete sie rasch, denn einen Streit mit Aggression von ihrem Kaliber konnte ich jetzt nicht brauchen auf dem Weg an Myriams Krankenbett.
    Das Telefon begann zu klingeln. Ein nervig-ringendes, klirrendes Bimmeln.
    „ Kannst du mir vielleicht mal sagen, wie es jetzt weitergehen soll?“, fragte sie zwischen zwei Klingeltönen.
    „ Was weiß ich.“
    Sie seufzte übertrieben laut und schüttelte den Kopf.
    „ Was weiß er...“
    „ Müssen wir das jetzt diskutieren? Ich muss dringend wohin.“
    „ Willst du das Jahr dranhängen?“, fragte sie, wieder die Pause zwischen dem Klingeln abwartend und plötzlich sehr ruhig und nüchtern geworden.
    Ich zuckte die Schultern.
    „ Schon. Ja, klar“, antwortete ich ins Klingeln hinein.
    „ Und wo willst du wohnen?“
    „ Na hier.“
    Sie schüttelte den Kopf, diesmal nicht ratlos, sondern entschieden.
    „ Ihr könnt das Haus ja wohl auch erst nächsten Sommer verkaufen, Kohle genug habt ihr doch.“
    Ihr Gesicht nahm einen neuen Ausdruck an, und mit Unbehagen stellte ich fest, dass es Genugtuung war, sogar ein leiser Triumph.
    „ Das Haus ist leider schon verkauft, mein lieber Sebastian. Am 1. August müssen wir alle hier raus sein. Mit Sack und Pack.“
    Das Telefon klingelte. Klingelte. Klingelte.
    Die Tür zum Wohnzimmer ging auf, und mein Vater kam heraus. Er trug ein makellos gebügeltes Hemd und eine Anzugkombination, dazu seine Lederhausschuhe. Dass es Samstagvormittag

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