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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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spielen, und es war moralisch auf jeden Fall falsch. Und doch meinte ich, dass ich, menschlich gesehen, das Richtige tat.
    „ Wo finde ich das Büro von Herrn Forberig?“, fragte ich am Empfangsschalter der „Internationalen Spedition“.
    Die Frau hinter der Glasscheibe ließ ebenso dezent wie demonstrativ den Blick an mir entlang nach unten wandern. Ich war mit dem Fahrrad gekommen und dementsprechend verschwitzt. Mein eines Latzhosenbein war nach oben gekrempelt, der Turnschuh darunter schon ziemlich ausgelatscht.
    „ Er kennt mich“, sagte ich trotzig.
    „ Und – erwartet er Sie auch?“
    „ Nein. Aber vielleicht rufen Sie mal hoch und sagen ihm, Vera Tangel vom Vegetarischen Partyservice ist hier.“
    Sie stülpte die Lippen und lächelte.
    „ Ich glaube nicht, dass er noch hier ist. Gestern war sein letzter Tag, und... – He!“
    Ich marschierte kurzerhand an ihr vorbei und drückte den Aufzugsknopf. Er stand bereit, und es zischte, als die Kabine sich öffnete. Bis die Frau aus ihrem Glaskasten gestürzt kam, hatten sich die Schiebetüren schon geschlossen, ich fuhr nach oben. Netterweise hatte man die Chefetage an der Stockwerkleiste kenntlich gemacht.
    2. Stock, es klingelte, die Türen gingen zischend auf, und eine Frau im braunen Kostüm verstellte mir den Weg.
    „ Frau Kreimeier?“, fragte ich.
    „ Ja.“
    Sie war sichtlich verblüfft, dass ich fremde Eingedrungene ihren Namen wusste. Ich lächelte herzlich und streckte ihr die Hand entgegen.
    „ Vera Tangel vom Vegetarischen Partyservice. Das waren doch Sie, die mich vorige Woche in Auftrag von Herrn Direkter Forberig angerufen und mich für die Verabschiedungsfeier bestellt hat, oder?“
    „ Ja.“
    Dieses Ja war verbunden mit Erkennen, und sie ließ mich heraustreten, bevor die Aufzugstür ein drittes Mal versuchte, sich vor meiner Nase zu schließen. Das gedämpfte Rumoren, das ich von der Kabine aus gehört hatte, erwies sich als reichlich ordinäres, vielstimmiges Männerlachen.
    „ Und, äh... wie kann ich Ihnen helfen?“
    „ Ist Herr Forberig da?“
    „ Ja, aber...“
    Ihr Blick wanderte zu einer halb geöffneten Tür eines Besprechungsraums, aus dem das Gelächter kam.
    „ Danke“, sagte ich und ging an ihr vorbei in Richtung des Radaus. Wie ich beim Näherkommen hörte, erzählte jemand mit rauer, überdrehter Stimme kurze Witze oder Anekdoten, wurde immer wieder von Gelächter unterbrochen, redete dabei aber ohne Punkt und Komma weiter. Ich klopfte an die halb geöffnete Tür und trat ein, ohne ein Herein abzuwarten.
    Was ich fand, war eine klassische Männerrunde: Kerle hockten und standen beieinander um den Anführer herum, der mit selbstsicherem Grinsen für Unterhaltung sorgte. Jeder hatte ein Whiskeyglas in einer Hand, die meisten hatten Zigaretten oder Zigarren in der jeweils anderen Hand. Das Ungewöhnliche war das managermäßige Äußere der Männer: Die Zuhörer trugen durchwegs dunkle Anzüge und glänzende schwarze Schuhe, der Witzereißer ebenfalls, wobei er aber sein Jackett abgelegt hatte und vornüber gebeugt mit einem Bein auf einem Stuhl stand. Über seinem dezent gestreiften Business-Hemd trug er breite Hosenträger, die Krawatte war am Knoten gelockert. Die Gelegenheit meines Eintretens nutzte er für einen tiefen Zug an seiner Zigarre.
    Es war Wendelin Forberig.
    Alle starrten mich an, und aus den lachenden wurden grinsende Gesichter. Blicke, Gesten, leise Pfiffe durch die Zähne und Bemerkungen drückten aus, dass man genau in der richtigen Stimmung war, sich mit mir zu beschäftigen.
    Ich beachtete die anderen nicht und sagte laut:
    „ Herr Forberig, kann ich Sie mal kurz allein sprechen?“
    Sein Blick war ebenso interessiert wie distanziert. Er nickte, machte eine Geste mit seiner Zigarrenhand zu einer offenstehenden Nebentür und griff nach seinem Jackett.
    „ Meine Herren...“, sagte er.
    Man straffte sich, drückte Zigaretten in Aschenbechern aus, stellte Gläser beiseite und strebte zum Ausgang. Amüsiert sah ich zu, wie aus der grölenden Steinzeithorde in Sekundenschnelle wieder eine Abordnung ernster, zurückhaltend-höflicher Geschäftsleute wurde, die sich gegenseitig die Tür aufhielt. Auch Forberig war nun ganz Chef, stand am Durchgang vom Konferenzraum zu seinem Büro und bedeutete mir mit einer Geste, an ihm vorbei einzutreten.
    „ Das war schon die zweite meiner zahlreichen Abschiedsveranstaltungen, der Sie beiwohnen konnten“, sagte er, während er die Tür schloss und zu seinem

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