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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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dekoratives, anschmiegsames Geschöpf – und sich dann an ihrer Willensstärke die Zähne ausgebissen.
    „ Lensen“, stellte sie sich vor, ließ mich eintreten und deutete die Treppe hoch. „Sebastian kramt noch oben herum.“
    Ich fragte mich, ob sie ihren Mädchennamen neu angenommen oder nie abgelegt hatte, und vermutete letzteres. Eine Erklärung bekam ich jedenfalls nicht. Sie hatte sich schon umgedreht und war in der Küche verschwunden.
    „ Sebastian“, rief ich und nahm langsam die ersten Stufen. Überall im Treppengang waren Nägel in der Wand, an manchen Stellen waren die Schatten der Bilder zu ahnen, die hier gehangen hatten.
    „ Komm hoch“, rief er zurück.
    Es rumpelte. Auf dem Flur im ersten Stock stand ein großer, länglicher Umzugskarton mit offenen Klappen. Als ich gerade die letzte Stufe nahm, kam Sebastian aus seinem Zimmer heraus, mit beiden Händen ein Knäuel von Kabeln vor sich hertragend.
    „ Hallo“, sagte er flüchtig, wollte die Kabel in den Karton stopfen, zuckte aber zurück, sah mich an und verzog das Gesicht.
    „ Was ist los?“, fragte er und starrte mich an.
    Ich war am Treppenabsatz stehen geblieben und zwei Stufen zurückgewichen. Für eine Sekunde hatte ich das Gefühl gehabt, dass ich in ein unsichtbares Kraftfeld getreten war, eine Abwehrmacht aus Hass und gemeinen Gedanken, und mir war klar, dass mein Gesicht mein Entsetzen widerspiegeln musste. Aber auch Sebastian hatte etwas gespürt.
    „ Irgendwas ist hier“, sagte ich leise. „Und es will nicht, dass ich dahinter komme, warum.“
    „ Wie bitte?! Hinter was?“
    Ich wich zwei weitere Stufen zurück.
    „ Tut mir leid, ich kann dir nicht tragen helfen. Ich warte unten.“
    Ohne es eigentlich zu wollen, drehte ich mich um und sprang die Stufen nach unten. Für einen Moment fühlte ich mich erleichtert, dann holte der Energieschwall mich ein. Wellen von Bösartigkeit schwappten die Treppe herunter und wollten mich ganz aus dem Haus treiben, wo ich in den gesammelten Schwingungen der hier wirkenden Kräfte und Gegenkräfte lesen konnte wie in einem Buch.
    Ich lehnte mich an die Wand und versuchte mich zu widersetzen. Das Ding war mir nicht wirklich feindlich gesonnen, im Gegenteil. Es wollte sogar, dass ich Sebastian holte. Aber es wollte nicht, dass ich jetzt schon erfuhr, wieso.
    Schritte über mir.
    „ Vera, ist dir nicht gut?“
    Sebastians Gesicht sah in dem seltsamen Zwielicht des leeren Treppengangs bläulich aus. Er wirkte überrascht und fragend, zugleich wissend und von der Bösartigkeit ergriffen und zum Werkzeug gemacht. Ein lebendiges Vexierbild war sein Gesicht – der ahnungslose, verwirrte Schüler; der dämonenbesessene Irre.
    Das Ding setzte zum Sprung an. Ich sah nichts außer Sebastian auf der Treppe über mir stehen, und trotzdem sah ich, wie eine Art Glibbermasse, ein praller Beutel voll irgendwas Zäh-Schleimigem über mir platzen und wie eine Woge auf mich zurasen würde.
    „ Warum tust du’s nicht?“, fragte ich leise. Meine Stimme war fest und furchtlos, was mich wunderte.
    „ Was?“, fragte Sebastian.
    Nein, Werkzeug war er nicht wirklich. Er wollte nicht. Blickte nicht recht durch. War noch entschlossen, sich zu wehren. Aber wurde das Ding nicht los. Mit ihm würde es nun bei mir einziehen. In diesem Moment wünschte ich mir, es hätte sich mir schon in der Schule oder im Rosensaal gezeigt.
     

    Meine Mutter war bis vor wenigen Jahren eine bildhübsche Frau gewesen, und auch heute noch sah man ihr unter allen Spuren, die der Raubbau am eigenen Körper in ihr Gesicht gegraben hatte, diese Schönheit an. Sebastian, so kam es mir vor, konnte sich nicht losreißen von ihrem Anblick, als er sie das erste Mal sah.
    „ Was ist hier los?“, fragte sie mit ihrer tief und rau gewordenen Stimme.
    „ Vorsicht!“, rief ich Sebastian zu, der im Begriff war, in einem Schlagloch hängen zu bleiben und zu stolpern. Ich hatte im Hinterhof unseres Hauses geparkt, und wir schleppten seinen Krempel-Karton von der Ladefläche meines Lieferwagens zum Hintereingang des Hauses. Den Großteil seiner Sachen hatten wir zurückgelassen, sie sollten bei Verwandten untergestellt werden.
    Clarissa blieb mit ausgebreiteten, gegen die Türstöcke gestützten Armen stehen und verwehrte uns mit ihrem Körper den Zugang.
    „ Was ist hier los?“, fragte sie mit verstärkter Aggression.
    „ Sebastian zieht für eine Weile ein“, antwortete ich schnaufend und schob ihn von hinten durch Druck gegen den Karton

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