Infektiöse Visionen (German Edition)
Was? Wer?“
„ Ich will mein Erbe ausbezahlt, dann kann ich machen, was ich will. Diese Leute sehe ich sowieso nie wieder.“
„ Wen, deine Eltern?“
„ Wen sonst? Warum erzähle ich dir das überhaupt...“
„ Erzähl ruhig.“
„ Jedenfalls, meine Mutter sagt, das ist Wahnsinn, der verplempert das Geld und landet danach in der Gosse.“
„ Das sagt sie?“, fragte ich einigermaßen erschüttert.
„ Nicht so direkt. Ihm jedenfalls wäre das egal, er will mich nur für immer los sein und keinesfalls in seinem Testament erwähnt haben. Wohl das erste Mal, dass wir einer Meinung sind. Natürlich würde er mich mit einem Bruchteil abspeisen, aber das wäre immer noch genug.“
„ Und angenommen, sie machen es so, wie dein Vater es will, was würdest du dann tun?“
Plötzlich passierte etwas. Ich spürte es durchs Telefon, eine Veränderung in der Schwingung zwischen uns. Klingt blöd, aber ich kann es nicht anders erklären. Als er antwortete, war es immer noch die Stimme von Sebastian Forberig, aber der Geist dahinter war nicht mehr resignierend, sondern wach und angriffslustig. Hart und kalt. Tötungsbereit.
„ Hör endlich auf mit dem Gequatsche und denk an die Aufgabe!“
Plötzlich wusste ich, was mit ihm los war. Ich hatte es die ganze Zeit geahnt, schon als ich ihn mit eckigen Bewegungen und seltsam verrenkter Kopfhaltung während des Mathe-Abiturs absonderliche Kritzeleien auf dem Prüfungsbogen hatte anfertigen sehen.
Es klickte. Er hatte grußlos aufgelegt.
Sofort wählte ich die Nummer noch einmal. Es läutete. Läutete ein zweites Mal, ein drittes Mal...
„ Ja hallo, hier spricht der Sebastian Forberig.“
Die Stimme klang so lustlos und unbeteiligt wie vor seinem aggressiven Aussetzer.
„ Ich bin’s noch mal, Vera. Du hast mir noch nicht geantwortet.“
„ Geantwortet?“, fragte er gedehnt.
„ Ob du bei mir im Laden jobben würdest. Du kannst auch bei mir wohnen, ich hab hinten raus ein Zimmer frei.“
Er räusperte sich.
„ Wie gesagt, Vera, wenn ich das Geld habe, kauf ich mir ein Auto und hau hier ab.“
„ Okay.“
Ich hatte die Stimme auf der zweiten Silbe gehoben, um ihn zum Weitersprechen zu animieren. Es kam nichts mehr. Ich wagte einen Vorstoß:
„ Woran ist Myriam eigentlich gestorben?“, fragte ich leise.
Wieder ein Räuspern.
„ Die Ärzte sagen, es war eine verschleppte Erkältung in Kombination mit einem angeborenen Herzfehler.“
„ Aber du glaubst das nicht.“
„ Nein.“
„ Du denkst, es war deine Schuld.“
Er schniefte leise.
„ Es wäre jedenfalls nicht gut, wenn ich bei dir arbeite. Und womöglich auch noch wohne. Irgendwas ist zwischen uns im Busch, das ist... Das ist überhaupt ein absonderlicher Vorschlag.“
„ Ich bin anders als Myriam.“
„ Ja“, sagte er nur.
„ Also?“
„ Ich frage mich, worüber wir hier reden.“
„ Du schleppst irgendwas mit dir herum.“
Er lachte gekünstelt.
„ Ach ja? Und was könnte das bloß sein? Vielleicht, dass ich keinen Abschluss habe? Dass meine Freundin tot ist? Dass ich ganz allein dastehe und bald nicht mal mehr eine Scheiß-Bude habe, in die ich mich verkriechen kann? Richtige Eltern hatte ich ja sowieso noch nie.“
„ Ich weiß doch, dass dir viel Schlimmes passiert ist, aber du musst jetzt nach vorne schauen und eine wirklich Lösung finden.“
„ Ach so, na das ist ja einfach! Nach vorne schauen, und schon wird alles gut! Verbindlichsten Dank, Frau Doktor Tangel, Ihre Kummerkasten-Weisheit hat mir sehr geholfen.“
„ Du weißt genau, was ich meine.“
„ Nein, weiß ich nicht.“
„ Was ich meine, hat all das verursacht, stimmt’s? Es ist sehr viel tiefgreifender. Und es treibt dich weiter vor sich her.“
Ich rechnete damit, wieder die andere Stimme zu hören, aber ich blieb verbunden mit Sebastian Forberig, dem verzweifelten Kind. Nach einer langen Pause fragte er:
„ Warum interessiert dich das überhaupt so sehr? Wir kennen uns doch eigentlich gar nicht.“
Ich schnaufte tief ein und sagte einfach die Wahrheit:
„ Weiß ich nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Es ist seit diesem Vorfall im Mathe-Abi, aber eigentlich hat es weniger mit dir zu tun. Ich habe so eine Ahnung, dass es auch für mich selbst von Bedeutung ist, wenn ich dir helfe.“
„ Ich brauche keine Hilfe, Vera, wirklich nicht. Du musst dich an jemand anders wenden.“
Kapitel 17: Die Intrige
Ich befolgte diesen Rat. Was ich tat, war ein bisschen mehr als Schicksal
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