Infektiöse Visionen (German Edition)
Bürosessel ging. Ich setzte mich ihm gegenüber auf den Besucherstuhl.
„ Und wohl die letzte. Wie sie sehen...“
Er machte eine Geste durch den aufgeräumten Raum, der so steril sauber und schmucklos war wie eine Büro-Deko im Möbelhaus. Neben dem Schreibtisch stand ein blauer Plastik-Container mit Büchern, Aktenordnern und einem Becher voller Stifte.
„ ...bin ich hier schon ausgezogen. Ich wollte nur meine persönlichen Sachen abholen und noch eine letzte Runde schmeißen. Sie haben Glück, mich noch anzutreffen.“
Er wirkte nun deutlich entspannter. Zurückgekehrt war diese joviale Selbstsicherheit des Jägers im Angesicht der sicheren Beute, mit der er mich behandelt hatte, bevor er von meiner Bekanntschaft mit Sebastian erfahren hatte. Ich verglich die beiden miteinander, äußerlich und innerlich, und es kamen mir verrückte Vorstellungen dabei, in denen als vierte Kraft meine Mutter eine Rolle spielte. Als feindliche Kraft.
Wir musterten uns und sahen uns gegenseitig an, dass unsere Gedanken weit von der Situation abgewichen waren.
Er lächelte.
„ Nicht, was Sie denken“, sagte ich und bemühte mich, ernst zu bleiben. Ernst bleiben konnte ich gut.
„ Natürlich geht es um Sebastian“, gab er zurück und blieb diesmal offen und zugänglich dabei.
„ Ihren Sohn.“
„ Biologisch betrachtet mag das sein.“
„ Ich habe heute lange mit ihm telefoniert.“
„ Sind Sie verknallt in ihn?“
Er kratzte sich mit dem linken Zeigefinger an der rechten Kinnseite, während er das fragte, und lächelte noch immer.
„ Darüber müsste ich erst mal nachdenken.“
„ Interessante Antwort.“
Er lehnte sich zurück, sah mich an und wartete, dass ich etwas sagen würde. Wenn man lange genug wartet, sagt immer der andere etwas, und so war es selbst bei einem wie ihm.
„ Wissen Sie, noch vor einer Woche hätte ich Sie vor die Tür gesetzt bei diesem Thema“, sagte er. „Aber wenn man im Begriff ist, allen Ärger hinter sich zu lassen, wird dieser Ärger so bedeutungslos, dass es einem nichts ausmacht, ihm hinterher zu winken. Sie können also ganz offen reden.“
„ Na gut. Es geht um ein finanzielles Arrangement für Sebastian, das es ihm unmöglich macht, aus seiner Bahn auszuscheren.“
„ Und diese Bahn wäre?“
„ Sie wissen schon, die K13 wiederholen, Abitur machen, studieren...“
„ Und wohnen soll er natürlich bei Ihnen während dieses weiteren spannenden Jahres seines nie enden wollenden Nicht-Erwachsenwerdens?“
„ Es bietet sich an.“
Er grinste jetzt ganz ungeniert und beugte sich vor.
„ Sie haben so was... Mütterliches.“
Ich schüttelte den Kopf und lächelte nun ebenfalls.
„ Jeder Mensch hat Eigeninteressen, und die stehen bei allem, was er tut, im Vordergrund. Aber das muss ich Ihnen nicht sagen.“
„ Dann wundert es mich aber, dass Sie her gekommen sind. Meine Eigeninteressen könnten Ihnen nur in dem Fall nützlich sein, dass ich die Stadt nicht schon morgen verlassen würde. Und heute Nacht habe ich leider keine Zeit.“
„ Wahrscheinlich sind Ihnen nicht alle Ihre Eigeninteressen bewusst.“
„ Wenn jemand im Begriff ist zu fallen, dann gibt man ihm einen Stoß. Das ist alles, was ich an Eigeninteressen bezüglich des Sohnes meiner zukünftigen Ex-Frau aufbringen kann.“
Er beugte sich nach vorne und schaute mich so eindringlich an, dass ich kurz davor war, den Blick zu senken.
„ Habe ich Sie schockiert?“, fragte er.
Ich lächelte mit einem verächtlichen Schnaufen.
„ Aber nun zu Ihren Eigeninteressen. Eine selbstbewusste und zielorientierte junge Frau wie Sie kann unmöglich ernsthaft etwas von einem Versager wie Sebastian wollen. Es sei denn, sie lernt gerade noch rechtzeitig seinen reichen Vater kennen.“
„ Sind Sie denn so reich?“
„ Jedenfalls reich genug, um es Ihnen für alle Zeiten ersparen zu können, sich mit Ihrem Gemüseladen herumplagen zu müssen.“
„ Ihr Reichtum...“
„ ...ist Ihnen ja so was von egal, natürlich.“
Was mich zu nerven begann, waren nicht seine Unterstellungen. Es war die Tatsache, dass er schlau und wissend genug gewesen wäre, um zu begreifen, worum es wirklich ging, aber zu verbohrt, seinen eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Und eben das machte ihn meiner Mutter so ähnlich, dass sie Geschwister hätten sein können.
„ Wie ist das mit Ihrer Frau?“
„ Für die hat es sich auf jeden Fall gelohnt, mit mir verheiratet gewesen zu sein. Und mir schadet es nicht allzu
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