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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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nur völlig verrückt.“
    Ich legte die Bettdecke zusammengefaltet auf der Matratze ab und wandte mich ihm zu.
    „ Was ist überhaupt passiert?“
    „ Wie passiert, was meinst du?“
    „ Du warst doch früher ganz normal. Mir ist nie was an dir aufgefallen. Bis zur Matheprüfung.“
    Er schnaufte tief ein und seufzte beim Ausschnaufen.
    „ Wie gesagt, das ist so verrückt.“
    „ Erzähl’s mir.“
    „ Kann ich nicht. Auch wenn ich klar denke, dann gibt es da eine Art Sperre, ich weiß nicht...“
    „ Dann schreib es auf. Damit bringst du selbst eine Ordnung rein und findest vielleicht beim Schreiben eine Lösung.“
    Er lächelte resignierend und schüttelte den Kopf. Ich nahm seine beiden Hände und zwang ihn, mich anzusehen.
    „ Und vielleicht fällt auch mir eine Lösung ein, wenn ich erst weiß, worum es geht. Zumindest, so lange ich auch wirklich ich selbst bin.“
    Sein Kopfschütteln wurde noch nachdrücklicher.
    „ Willst du denn überhaupt, dass dir jemand hilft?“
    „ Ich will es schon.“
    Er betonte das erste Wort so, als habe er das nicht allein zu entscheiden.
    „ Dann schreib alles auf!“

Kapitel 20: Versuch einer Teufelsaustreibung
     

    Zwei Wochen später gab mir Sebastian einen unordentlichen Stapel beidseitig beschriebener linierter Blätter. Er hatte mit dem Kugelschreiber so fest aufgedrückt, dass die Schrift sich gegenseitig durchwölbte und eine Seite die jeweils andere Seite fast unleserlich machte. Für mich sah es so aus, als habe er gegen großen Widerstand geschrieben, psychisch wie physisch.
    Ich brauchte zwei Stunden, um seinen Bericht zu lesen und die entscheidenden Stellen zu unterstreichen.
     

    Bezeichnend fand ich, dass er mit Myriams Tod aufgehört hatte. Auch über die beiden Wochen, die er nun mit mir zusammen verbracht hatte, stand kein Wort in seinen Aufzeichnungen.
    Dabei war sehr viel zwischen uns passiert. Wir hatten uns zunächst zu Freunden zusammengerauft und waren uns dann auch auf andere Weise näher gekommen.
    Es war schon komisch gewesen, anfangs, von einem Tag zum anderen ständig jemanden im Geschäft um mich zu haben. Und es nervte mich mit der Zeit, es jedem Kunden einzeln erklären zu müssen. Die meisten dachten, bei mir sei jetzt der Reichtum ausgebrochen, dass ich mir Angestellte leisten konnte, und stichelten in dieser Richtung.
    Ältere Damen vermuteten andere Zusammenhänge. Frau Walther zum Beispiel, eine dickliche, tantenhafte alte Jungfer kaufte angeblich bei mir, weil ihre Füße sie nicht mehr bis zum Supermarkt zwei Straßen weiter trugen, ohne danach stundenlang weh zu tun – in Wahrheit kam sie wohl hauptsächlich zum Quasseln. Sie wohnte im Nachbarhaus.
    „ Oh, was macht denn der junge Mann hier?“, fragte sie mit übertriebenem Erstaunen, als sie zwei Tage nach Sebastians Einzug zur Tür hereinkam. Sie machte ein Gesicht dazu, als werde schon in der ganzen Straße darüber getratscht und als habe sie sich nun endlich ein Herz gefasst, die Sache aufzuklären.
    „ Er jobbt bei mir“, brachte ich meine Standard-Antwort und begann damit, ihren Standard-Einkaufszettel abzuarbeiten: drei große und drei kleine Kartoffeln, ein kleines Glas Gurken, Brot, Käse...
    Natürlich war ihr diese Antwort bei weitem nicht genug, und so konnte sie es sich nicht verkneifen, nach dem Bezahlen auf dem Weg zur Tür Sebastian noch direkt zu fragen:
    „ Man hört, Sie wohnen auch hier.“
    „ Ja, das stimmt“, antwortete er ernst und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: „Wir sind nämlich ein heimliches Liebespaar. Aber bitte sagen Sie’s nicht weiter.“
    „ Oooohhh“, machte Frau Walther, lächelte etwas unschlüssig, umarmte ihr Einkaufspaket und ließ sich von ihm die Tür aufhalten. Als sie draußen war, grinste er mich frech an. Ich wollte tadelnd schauen, aber konnte nicht anders als ebenfalls zu grinsen.
    „ Ich bin neulich mal gefragt worden, ob ich verliebt in dich sei“, sagte ich, verriet aber natürlich nicht, dass Wendelin es war, der mir die Frage gestellt hatte. Sebastian nahm ganz selbstverständlich an, Clarissa sei es gewesen.
    „ Und, was hast du ihr geantwortet.“
    „ Dass ich darüber nachdenken müsse.“
    „ Hast du?“
    Ich nickte und musste lächeln. Das erste Mal, seit ich ihn kannte, ergriff er bei etwas die Initiative, kam von der Tür zu mir hinter den Ladentisch, zog mich mit dem rechten Arm heran, während sein linker Arm nach unten hing, und küsste mich mit einer Selbstverständlichkeit als wären wir

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