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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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unsere Entscheidung, ob wir uns reiten lassen oder den Reiter abwerfen.“
    Sebastian und ich schwiegen und schauten sie an.
    „ Was habt ihr erwartet? Dass ich einen Zaubertrank mixe oder euch ein geweihtes silbernes Kreuz auf die Stirn drücke? Daran glaubt ihr doch sowieso nicht.“
    „ Aber...“
    „ Geht jetzt. Ich will ihn nicht so lange hier haben.“
    Ich nahm den Bericht wieder an mich. Wir standen auf und gingen zur Tür.
    „ Eine Sache noch“, rief sie uns hinterher. Wir drehten uns um. „Es kann euch nicht ständig mit Beschlag belegen. Es kommt und geht, und ihr wisst genau, wann es da ist und wann nicht. Nutzt diese Phasen, in denen ihr euch selbst gehört, und wappnet euch.“
    „ Ach – und wie?“
    „ Das könnt nur ihr selbst herausfinden.“
     

    „ Tut mir leid“, sagte ich zu Sebastian, als wir wieder auf dem Weg nach unten waren. „Sie kann eben nicht aus ihrer Haut.“
    „ Ich fand es eigentlich gut, was sie gesagt hat.“
    „ Wirklich?“
    Wir standen vor meiner Wohnungstür. Es ging auf 22 Uhr zu, und ich spürte jetzt, wie erledigt ich war.
    „ Kann ich noch mit rein kommen?“, fragte er.
    „ Besser nicht.“
    Seit unserem Kuss im Laden war nichts mehr passiert. Er verstand das nicht und wollte anknüpfen. Natürlich bereute ich, dass ich es überhaupt so weit hatte kommen lassen. Den Grund, warum ich es bereute, begann ich mir erst seit kurzem einzugestehen. Aber ihm konnte ich diesen Grund unmöglich sagen.
    Er kam vom Treppenabsatz zu mir herüber und stellte sich direkt vor mich hin.
    „ Ich bin dir sehr dankbar“, flüsterte er.
    „ Wofür?“, fragte ich und trat einen Schritt zurück.
    „ Für alles. Dass ich hier wohnen und arbeiten darf. Ohne dich hätte ich vielleicht längst schon was Blödes angestellt.“
    Er folgte mir, und da ich mit dem Rücken zur Tür stand, konnte ich nicht weiter zurückweichen. Ich überlegte, wie ich mich ihm entwinden konnte, ohne ihn zu verletzen. Da fiel mir etwas ein.
    „ Was ist eigentlich aus der verdreckten Jeans geworden?“
    „ Wie bitte?“
    Er hatte gerade versucht, mich zu küssen, hielt inne und wich zurück.
    „ Die deine Mutter aus der Mülltonne gefischt hat. Du schreibst, dass du die Stofffetzen aus den Taschen gezogen hast, aber nicht, ob du dabei was entdeckt hast.“
    Er schaute mich an als habe er keine Ahnung, wovon ich redete.
    „ Und der kleine Knochen?“, fragte ich. „Hast du den etwa noch? Hast du den mit hierher geschleppt?“
    Er nickte nachdenklich.
    „ Ja, ich glaub schon.“
    Dann schüttelte er energisch den Kopf und versuchte wieder, sich an mich zu drücken. Gerade noch rechtzeitig hob ich die Arme, legte die Hände gegen seine Schultern und hielt ihn so auf kameradschaftliche Weise auf Abstand.
    „ Macht dich das nicht stutzig?“, fragte ich.
    „ Was?“
    „ Na, dass es so nicht funktionieren könnte, wie ihr euch das vorstellt, Clarissa und du: Einfach nicht tun, was das Ding von dir verlangt.“
    „ Wieso?“
    „ Weil du doch gar nicht weißt, was es so alles mit dir treibt, ohne dass du es überhaupt merkst. Was, meinst du, ist da unten eigentlich passiert?“
    „ In der Ruine?“
    „ Ja, in der Ruine. Hast du ein Grab geöffnet?“
    „ Ein Grab?“
    Er schaute so verblüfft, dass es mir unheimlich wurde.
    „ Knochen findet man in Gräbern, Sebastian. Und die alten verdreckten Binden könnten auch aus einer Gruft stammen.“
    „ Gruft? Nein, das waren doch Zimmer. Mit Möbeln und Blümchentapeten.“
    „ Und was hast du da gezeichnet? Beim Mathe-Abi?“
    „ Den Grundriss. Aber...“
    „ Weißt du irgend etwas über die Geschichte dieser Mauern?“
    Er schüttelte den Kopf und wirkte völlig verwirrt.
    „ Was denkst du denn, was das alles bedeutet?“, fragte er leise.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    „ Keine Ahnung. Vielleicht ist das Ding wie eine ansteckende Krankheit, und du bist ihr Multiplikator. Myriam ist daran zugrunde gegangen. Ich bin auch schon infiziert.“
    „ Und deine Mutter?“, fragte er. Über sein Gesicht lief plötzlich wieder das Vexierspiel von sich widersprechenden Ausdrücken: Sein Blick totaler Ratlosigkeit wechselte mit der kalten Angriffslust des Dings, das mich herausfordern und etwas über Clarissa erfahren wollte, zu der es offenbar keinen Zugang fand. Sebastian und das Ding, ihre Auren flossen ineinander, verschwammen, trennten sich, vermischten sich wieder.
    „ Deine Mutter ist vielleicht auch schon längst in meiner Hand“, sprach es

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