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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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nicht die Polizei rufen?“
    Ich schaute sie an, wiegte den Kopf, schüttelte ihn dann energisch.
    „ Vielleicht kommt er ja zurück.“
    „ Wie bitte!“
    „ Du weißt genau, dass nicht er das Geld gestohlen hat.“
    „ Ach nein? Wer denn dann?“
    „ Außerdem... Er hat einen Monat hier gearbeitet, und das weit mehr als 40 Stunden in der Woche. Letztlich hat er sich nur seinen Lohn selbst genommen. Deine 500 Mark bekommst du von mir natürlich zurück.“
    „ 400 Mark.“
    „ Dann eben 400.“
    „ Und das soll’s dann gewesen sein?“
    „ Wenn er nicht zurückkommt – ja.“
    „ Und was ist mit seinem... seltsamen Begleiter?“
    Ich drehte die Handflächen nach oben und machte eine Geste der Resignation.
    „ Was können wir schon tun? Ihn einfangen und einsperren, ihn hypnotisieren und das Ding zum Reden bringen?“
    Sie sagte eine Weile nichts und schaute mich nur an. Dann legte sie den Kopf schief, schnaufte tief ein und aus und meinte:
    „ Wir können zumindest mal seine Sachen durchsuchen. Falls er überhaupt was dagelassen hat.“
    „ Und wenn er zurückkommt?“
    „ Und wenn er zurückkommt? Dann soll er gefälligst erklären, warum er uns bestiehlt!“
    „ Du hast ja recht.“
    Zögernd und widerwillig stand ich auf und ging mit ihr vom Laden durchs Lager zu seiner Kammer. Trotz allem klopfte ich an. Wie erwartet kam keine Antwort. Ich wollte öffnen, aber die Tür war versperrt. Ich versuchte es mit mehr Kraft, mit Gewalt, mit vollem Körpereinsatz...
    „ Ich wusste gar nicht, dass die Kammer einen Schlüssel hat“, sagte Clarissa.
    „ Hat sie auch nicht.“
    „ Was ist mit dem Fenster?“
    „ Das geht zum Hinterhof und hat eine Milchglasscheibe. Ohne Leiter kämen wir da gar nicht hinauf.“
    „ Dann hilft nur...“
    „ Aufbrechen?“
    Sie nickte.
    „ Schon mal eine Tür aufgebrochen?“
    Sie warf mir ihren Sonstnochwas-Blick zu.
    „ Dann ruf ich morgen den Schlüsseldienst.“
    Bis zu diesem Moment war ich ratlos und unsicher. Jetzt hatte ich mich gefangen und beschlossen, ihm diese Chance noch zu geben. Vielleicht kam er zurück, entschuldigte sich, und alles würde wieder sein wie vorher. Nicht ganz wie vorher natürlich, aber...
    „ Hast du ihn denn überhaupt wegfahren sehen?“, fragte Clarissa. Ihre Stimme klang ungewohnt sanft, und auch ohne diese andere Stimme war mir klar, worauf sie hinaus wollte. Zum Glück hatte ich ihn wegfahren sehen, und ich nickte entschieden.
    Natürlich hätte er zwischendurch auch zurück gekommen sein können und von innen zugesperrt haben. Eine unbestimmte Angst bezüglich dieser Vermutung ließ sich daher nicht mehr abstellen. Aber was auch passiert sein mochte, in dieser Nacht würde es sich nicht mehr aufklären lassen. Inzwischen war es stockdunkel. Und Sebastian konnte überall stecken. Jedenfalls nicht hinter dieser Tür.
    Ich hoffte, dass nicht...

Kapitel 22: Überraschender Besuch
     

    Am nächsten Morgen wurde ich vor sieben Uhr von der Türklingel aus dem Schlaf gerissen. Sebastians Verschwinden fiel mir erst wieder ein, als ich schon durch den Flur auf dem Weg zur Wohnungstür war.
    Er hatte doch einen Schlüssel!
    Darüber, ob er den mitgenommen haben könnte, hatten wir gestern Abend gar nicht nachgedacht.
    Ich drückte den Knopf der Gegensprechanlage.
    „ Hallo?“
    „ Hallo, ich bin’s.“
    Gott sei Dank! Alles in Ordnung, er war wieder da. Ich betätigte den Türöffner, hörte das Schloss unten aufschnappen, stand verschlafen im Türrahmen und rieb mir die Nase, während ich den Schritten auf der Treppe lauschte. Klangen die nach Sebastian?
    Irgendwas war anders!
    Ein dunkler, sauber gekämmter Haarschopf tauchte unter mir auf. Schultern, die in einem dunklen Anzug steckten.
    „ Wendelin!“, rief ich, und stellte erstaunt fest, wie begeistert es klang. Was ich die ganze Zeit verdrängt hatte, nun ließ es sich auch vor mir selbst nicht mehr leugnen. Meine spontane Freude hatte auch ihm sofort alles gesagt.
    Er trug einen bunten Blumenstrauß vor sich her.
    „ Aus ökologischem Landbau“, behauptete er grinsend.
    „ Was machst du denn hier?!“
    „ Dich besuchen.“
    Eine Sekunde des Zögerns und gegenseitigen Taxierens, dann waren unsere Blicke sich einig, und wir fielen uns in die Arme. Das gab’s doch wohl nicht!
    „ Du siehst süß aus.“
    „ Ich sehe bestimmt schrecklich aus.“
    Ich wollte ihn wegdrücken und mir durch die Haare fahren, aber kam nicht dazu. Er zog mich heran, küsste mich auf den Mund.

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