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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Szenarien zusammenspinnen konnte.
    Im Lager fand ich die Werkzeugkiste, mit deren Hilfe Herr Gerald, einer von Mutters Klienten, gelegentlich kleine Reparaturen im Laden ausführte. Ich ergriff die Kiste kurzerhand am Henkel und schleppte sie hinüber. Beim Zurückkommen schnappte ich die Satzfetzen „kleine Schlampe“ auf und „Ich warne dich, Rita!“ – und beherrschte meinen Drang, mich zu rechtfertigen. Für das Türaufbruchs-Thema war ich genauso dankbar wie Herr Franz, der, kaum hatte ich sie am Boden abgestellt, die Werkzeugkiste durchstöberte.
    „ Die Zange hier müsste gehen, aber mit einem Draht sieht es schlecht aus.“
    „ Vielleicht...“
    „ Haben Sie vielleicht diese primitiven Draht-Kleiderbügel?“, unterbrach er mich.
    „ Könnte sein, ja.“
    Meine Partyservice-Schürzen waren mit solchen Dingern aus der Reinigung zurückgekommen. Ich sah kurz hinter die Tür, wo ich sie an einem Haken aufgehängt hatte, fummelte einen herunter und gab ihn weiter. Herr Franz schnappte sich den Bügel, bog den Draht am Aufhänger mit den Händen grob zurecht und formte dann mit der Zange eine Art Schlüsselbart.
    „ So, das könnte gehen.“
    Ich ging voran zu Sebastians Kammer.
    „ Ah ja, ein ganz primitives Schloss.“
    Er kniete sich davor und steckte seine Konstruktion ins Schlüsselloch. Frau Lensen hielt es nicht mehr aus. Nahe daran, hysterisch zu werden, drängte sie sich neben ihren Begleiter und pochte mit den Fingerknöcheln hart gegen die Tür.
    „ Sebastian, bist du da? Sag doch was! Ich bin’s, deine Mutter.“
    Das Schloss schnappte, Herr Franz hatte es geschafft. Vier Hände fuhren zum Türdrücker, Rita Lensen war am schnellsten. Wir hielten alle die Luft an. Sie drückte die Klinke, die Tür ächzte leise beim Öffnen.
     

    Sebastians Bett war unbenutzt. Eigentlich klar, aber als erster Blickfang im Raum gab es uns Anlass zu vier sehr unterschiedlich lauten Seufzern. Der zweite Blick fiel auf das kleine Tischchen, an dem er seine Briefe an Wendelins Anwalt formuliert und seinen Bericht verfasst hatte. Fein säuberlich gestapelt und an der Tischkante ausgerichtet lag da ein Bündel Geldscheine. Ich zählt kurz durch.
    „ Knapp 1.100 Mark.“
    „ Das, was in der Kasse gefehlt hat?“
    Ich verschluckte den Hinweis auf Clarissas Geldbeutel und nickte. Ein Blick in Sebastians Krempel-Kiste zeigte mir, dass seine Sachen, so weit mir bekannt, noch vollständig hier waren. Sogar sein Manuskript steckte, in einen Schnellhefter eingelegt, zwischen den Kabeln der Stereoanlage, die er immer noch nicht aufgebaut hatte, und seinen Klamotten.
    „ Alles noch da, was er beim Einzug mitgebracht hat“, murmelte ich beim Durchstöbern.
    „ Was bedeutet das?“, fragte Rita leise.
    „ Auf und davon ist er jedenfalls nicht“, murmelte Wendelin, und man merkte ihm an, dass ihn die Sache mehr bedrückte als seine flapsige Heiterkeit vermuten lassen sollte.
    „ Und wenn doch?“
    „ Ohne Geld?“
    „ Wir müssen zur Polizei!“
    „ Das ist noch zu früh.“
    „ Vielleicht ist es auch schon zu spät!“
    Es ging alles durcheinander, und ich wüsste nicht mehr, wer was gesagt hatte. Jedenfalls war es Herr Franz, der leise und sehr sachlich fragte:
    „ Gibt es einen Lieblingsort? Vielleicht ein Versteck, wo er sich hin flüchtet, wenn er allein sein will?“
    Rita und Wendelin sahen sich an und begriffen wohl erst in diesem Augenblick so richtig, dass sie keine Ahnung hatten, was ihrem Sohn so durch den Kopf ging, was er machte und mochte, wo er sich gern aufhielt.
    „ Das gibt es allerdings“, sagte ich und empfand es als unangenehm, dass mich nun alle anstarrten.

Kapitel 23: Kampf im Kellerloch
     

    Die Forstwege rings um den Moorteich waren das reinste Labyrinth. Sie verliefen über weite Strecken parallel, führten dann irgendwo im Nirgendwo zusammen, überkreuzten sich und trennten sich wieder zu neuen Parallelverläufen. Die meisten ungeschotterten Waldwege, die wir ausprobierten, führten im Kreis oder endeten blind, und Wendelin musste das Mercedes-Sportcoupé, das er sich am Flughafen für die Dauer seines Aufenthaltes gemietet hatte, dann kilometerweit rückwärts lenken. Mehr als einmal kratzte, knirschte und krachte es, wenn der Unterboden mit einer Wurzel oder einem Stein Bekanntschaft machte.
    Rita und Herr Franz hockten auf dem kaum vorhandenen Rückbänkchen und drückten sich bei den Rückwärts-Aktionen jeweils nach links und rechts an die Seitenwände, um Wendelin freie

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