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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Decke zum Einsturz gebracht. Sehr gefährlich, wie es mir schien – und kaum zu glauben, dass er sich durch den schmalen Schlitz hatte quetschen können. Falls er da unten überhaupt noch oder je gewesen war.
    „ Sie meinen doch nicht...?“, fragte Rita und starrte auf den schmalen Riss im Waldboden, an dessen Rändern vermauerte Ziegelsteine zu erkennen waren.
    „ Du kannst ja hier Wache schieben“, sagte Wendelin zu ihr, schaute aber Herrn Franz an und fragte: „Schon mal Räuberleiter gemacht?“
    Herr Franz nickte nur, stützte sich an das Gitter und verschränkte die Hände. Wendelin nutzte sie als Tritt, zog sich an den Metallstreben hoch und kletterte auf die andere Seite. Das Gitterrund wackelte bedenklich, aber mit Wendelin war der schwerste Brocken drüben.
    „ Will jemand mitkommen?“, fragte er von seinem raubtierkäfig-ähnlichen Gefängnis aus und schlug sich zugleich an die Stirn. „Ach, Moment, Taschenlampe wäre nicht schlecht. Wer holt sie schnell aus dem Auto? Im Handschuhfach müsste eine sein.“
    „ Ich gehe schon“, sagte Rita bereitwillig und sichtlich froh, nicht als nächste übers Gitter klettern zu müssen.
    „ Darf ich?“, fragte ich und legte Herrn Franz die Hände auf die Schultern. Er nickte, und ich tat es Wendelin nach.
    „ Eigentlich genügt es, wenn nur wir beide einsteigen“, ächzte er, während er mich drüben in Empfang nahm. „Falls ich überhaupt da reinpasse.“
    Er hob den Spaten auf und rammte ihn gegen den Rand des Loches. Steine und Dreck bröselten, und der Spalt verbreiterte sich ein Stückchen.
    „ Ich helfe Ihnen“, rief Herr Franz, und ehe Wendelin noch was sagen konnte, hatte er sich am Gitter hochgeschwungen und schaffte es ganz ohne Hilfe, sich hinüber zu hangeln.
    „ Sebastian!“, rief ich in den Spalt und lauschte.
    Ganz leise meinte ich ein Echo zu vernehmen, aber es klang wie „Hilfe!“
    „ Habt ihr das gehört?“
    „ Beeil dich, Rita!“, rief Herr Franz. Die Taschenlampe, die sie durchs Gitter reichte, war ebenso sportlich im Design wie unnütz in der Anwendung: Das Licht war kaum zu sehen, zumindest nicht hier im Freien.
    „ Wird schon gehen“, meinte Wendelin, hielt sich am Gitter fest und verschwand mit den Beinen im Spalt.
    „ He, ich will auch mit!“, rief Rita.
    „ Ich glaube, das ist keine gute Idee“, wies Wendelin sie ab.
    „ Er hat recht“, stimmte Herr Franz zu. „Jemand sollte in der Lage sein, Hilfe zu holen, falls uns was passiert.“
    „ Und wie soll ich erfahren, dass was passiert ist, wenn ich hier draußen bin.“
    „ Das merkst du dann schon irgendwann“, kam es von Wendelin, bevor er sich mit dem Oberkörper in den Spalt sinken ließ und schließlich auch mit dem Kopf verschwand. Ich reichte ihm die Taschenlampe hinterher, und er leuchtete mir von innen für meinen Einstieg.
    „ Kommt nicht in Frage, dass ich hier allein warte“, stieß Rita hervor, derweil sie schon am Gitter zerrte und versuchte, sich hochzuziehen. Herr Franz half ihr von seiner Seite, so gut es ging, indem er sein Knie für sie als Tritt nach außen drückte und das Gitter stabilisierte. Da sie sehr klein und zudem nicht für Klettertouren angezogen war, rechnete ich nicht mit einem Erfolg. Aber sie war behände, zäh und willensstark, und so sah ich sie mit vor Anstrengung rot geschwollenem Hals und verzerrten Zügen den Rand des Gitters überklettern, als ich gerade mit dem Kopf unter den Waldboden tauchte.
    Wendelin half mir von unten. Für einen Moment sah ich trotz Taschenlampe gar nichts. Dann hatte ich mich an die höhlenartige Atmosphäre gewöhnt und begann Umrisse auszumachen. Ich erkannte die Truhe, von der Sebastian geschrieben hatte, und die Blümchentapete. Ansonsten war es hier drinnen völlig verdreckt und durcheinander, Einzelheiten waren im Funzellicht der Taschenlampe kaum auszumachen. Es roch nach Moder und Keller, bei jeder Bewegung wischten einem Spinnweben übers Gesicht.
    „ Sebastian“, rief ich halblaut und hatte das Gefühl, mit meiner Stimme etwas zu stören, das man keinesfalls stören sollte. Ich musste mich regelrecht überwinden, noch lauter zu rufen und schließlich zu schreien: „Sebastian, bist du hier irgendwo?“
    „ He“, beschwerte sich Wendelin und deutete an, dass mein Gebrüll ihm in den Ohren wehtat. Zugleich vernahm ich etwas, das wie ein Echo klang oder eine Stimme aus dem fernen Ende eines weitläufigen Gewölbesystems.
    „ Hast du das gehört?“
    Er zuckte mit den Schultern.

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