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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Sicht durch die Heckscheibe zu ermöglichen. Es war ihm eine Genugtuung gewesen, seine zukünftige Ex-Frau und ihren Liebhaber auf die Notsitze zu verbannen mit der Begründung, die Ortskundige – womit er mich meinte – müsse zum Dirigieren vorne sitzen. Leider war ich, was den Wald betraf, um nichts ortskundiger als die anderen, und so schlug die Stimmung von angespannter Sorge zunehmend in Gereiztheit um.
    „ Das bringt doch nichts!“, rief Rita aus, als wir mal wieder an einem Holzhaufen vorbeischaukelten, der uns sehr bekannt vorkam.
    „ Wird dir etwa schlecht, Rita?“, fragte Wendelin mit gespielter Anteilnahme nach hinten. Und an mich gerichtet, erklärte er: „Sie verträgt leider den Autogeruch nicht. Vor allem das Rückwärtsfahren macht ihr zu schaffen.“
    „ Ach halt doch den Mund! Dir scheint das auch noch Spaß zu machen.“
    „ Am Anfang war es ganz unterhaltsam.“
    Herr Franz berührte von hinten ganz leicht meine Schulter und fragte: „Sind Sie denn sicher, dass dieses Schloss, diese...“
    „ Friedrichsruh“, half ich ihm.
    „ ...diese Friedrichsruh direkt am Weg liegt?“
    „ Ich weiß es leider nicht, aber in Sebastians Beschreibungen kam es so rüber. Irgendwo in der Nähe des Moorteiches jedenfalls.“
    „ Den haben wir schon ein Dutzendmal umkreist“, klagte Rita. Ich fragte mich, ob sie besorgt war oder inzwischen eher genervt. Einfach mit dem Fahrrad im Wald zu verschwinden, schien schon immer zu Sebastians Gewohnheiten gehört zu haben. Und offenbar war es ihm zuzutrauen, auch über Nacht wegzubleiben, da er nun nicht mehr unter elterlicher Aufsicht stand.
    Ich hatte meine Zweifel an der Harmlosigkeit seiner Abwesenheit, da ich dank seiner Aufzeichnungen weit mehr über ihn wusste als jeder andere, vor allem natürlich, was seinen unheimlichen Begleiter betraf.
    „ Da vorne ist was“, sagte Wendelin leise und mehr zu sich selbst. Den Satz hatte er schon öfter gesagt, und beim Näherkommen war unsere gespannte Erwartung dann jedesmal durch Futterkrippen, Borkenkäferfallen oder Wanderwegweiser enttäuscht worden. Auf letzteren hatte sich übrigens nie ein Hinweis auf einen Ort namens Friedrichsruh gefunden, und langsam zweifelte ich an Sebastians Bericht.
    Diesmal allerdings war da wirklich was. Ich erkannte den Holzkasten, den Sebastian als Aufbewahrungsort des Wanderergästebuches beschrieben hatte, und der Schaukasten schräg gegenüber räumte jeden Zweifel aus.
    „ Das ist es“, stellte ich fest und stieß die Tür auf, noch bevor Wendelin den Wagen zum Stehen brachte.
    „ Aber dann müsste doch sein Fahrrad zu sehen sein“, meinte Rita und drängte Wendelin durch heftiges Ruckeln von hinten, den Sitz umzuklappen, damit sie aussteigen konnte.
    „ Die Ruine muss irgendwo da oben im Gesträuch sein“, behauptete ich und ging etwas unschlüssig auf den überwucherten Hügel gegenüber des Weges zu. Die Schneise, die Sebastian zu dem Zeitpunkt beschrieben hatte, nachdem das Absperrgitter aufgebaut worden war, lag entweder woanders oder war seit dem Frühjahr zugewuchert.
    „ Sebastian!“, rief Herr Franz laut, und erst jetzt kamen wir anderen auch auf die Idee, uns bemerkbar zu machen. Wir brüllten seinen Namen wild durcheinander, derweil wir an unterschiedlichen Stellen suchten. Ich hatte den Hügel erklommen und erkannte jene chaotische, völlig überwucherte und zugewachsene Trümmerlandschaft, in der Sebastian ein eingestürztes, riesiges Schlossgebäude vermutete. Er hatte nicht übertrieben.
    „ Es ist hier!“, schrie ich und hörte kurz darauf hinter mir die anderen den Hügel erklimmen.
    „ Das da?“, fragte Rita ungläubig.
    „ Da hinten ist die Absperrung.“
    Mit ein paar Schritten waren wir an der quadratisch aufgebauten, mannshohen Gitterkonstruktion, die eine feste Bretterabdeckung umschloss. Zuerst sah ich den Spalt zwischen Abdeckung und Boden, dann den Spaten – und schließlich Sebastians Fahrrad. Es lag mit den Reifen an der Absperrung, im Unterholz war es kaum zu erkennen. Vielleicht hatte er es zum Überklettern an das Gitter gelehnt, und beim Abstoßen war es umgefallen.
    Ich musste daran denken, dass er die Absperrung in seinem Manuskript als uneinnehmbar geschildert hatte, und staunte jetzt, wie raffiniert er sich trotzdem Zugang verschafft hatte: Statt des unmöglichen Versuches, die Abdeckplatte zu verschieben, um das Loch freizulegen, hatte er mit dem Spaten kurzerhand am Rand der Abdeckung gegraben und einen weiteren Teil der

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