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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Über uns rumorten Herr Franz und Rita. Ihre Beine tauchten auf, und mit einem schabenden Geräusch rutschte sie zu uns in den Untergrund. Wendelin dachte gar nicht daran, ihr zu helfen. Er erkundete bereits den Durchgang zum nächsten Raum.
    „ Wahnsinn!“, murmelte er. Ich wurde neugierig, folgte ihm und gelangte in einen weiteren Raum, der ebenso verdreckt und verwüstet war wie der andere. Hier lagen nur Trümmer, Steine und zerspreißelte, uralte Bretter. Die Tapete hing in Fetzen von der Wand. Alles war schwarz, wie verkohlt.
    „ Sieht aus als habe es hier gebrannt“, murmelte ich mehr zu mir selbst.
    „ Vorsicht, Scherben!“, warnte mich Wendelin gerade noch rechtzeitig, bevor ich auf den scharfkantigen Boden einer zerbrochenen Flasche trat.
    „ Wartet auf uns“, hörten wir Rita im anderen Raum rufen. „Hier ist es stockdunkel.“
    „ Na kommt schon!“, rief Wendelin zurück. Er hatte hinter einem herabhängenden, stark verkohlten Wandteppich den Durchlass zum nächsten Hohlraum entdeckt und war schon im Begriff, hindurch zu steigen. Ich erinnerte mich an Sebastians Beschreibungen, der in diesem zweiten Raum eine Sackgasse vermutet hatte. Ohne die Funzel-Taschenlampe hätte wohl Wendelin den Teppich nicht von den verkokelten Tapetenfetzen an der Wand unterscheiden können. Aber hatte nicht auch Sebastian eine Taschenlampe gehabt?
    „ Kann’s endlich weitergehen?“, knurrte Wendelin in Richtung von Rita und Herrn Franz, die nun zu uns in den zweiten Raum gelangten. Ich hielt ihnen den ekligen Teppich beiseite und ließ sie durch schlüpfen.
    Auf der anderen Seite tat sich ein ausgedehnter Gewölberaum auf, so weitläufig und schwarz, dass die Taschenlampe auf keine Wände traf und uns den Eindruck vermittelte, in einer Höhle mit niedriger Decke zu stehen.
    „ Wahnsinn!“, sagte Wendelin ein weiteres Mal. Er folgte dem verwaschenen Lichtklecks der Taschenlampe über einen gefliesten Boden, der unter Staub und Dreck noch gerade so zu erkennen war, und führte uns an die erste Stufe einer breiten, geschwungenen Treppe. Der Gang hatte sich zu einem Saal geöffnet, und was da vor uns lag, war wohl die Haupthalle des Schlosses gewesen.
    „ Da hängen Ölgemälde“, bemerkte Herr Franz.
    „ Tatsächlich.“
    Ein Mann mit in die Stirn gekämmten, blonden Haaren starrte uns aus einem der Rahmen heraus an. Er trug eine hellbraune, altertümliche Jacke mit hohem Kragen und eine blaue Schleife auf dem weißen Hemd. Der Rahmen des Bildes wie auch die anderen Gemälde zeigten Spuren von Feuer, wenn es auch in diesem Saal bei weitem nicht so gewütet zu haben schien wie in den Räumen, aus denen wir gekommen waren.
    „ Kann das jemand einordnen?“, fragte Wendelin.
    „ Das ist keine Besichtigung“, wies ihn Rita zurecht. „Wir suchen unseren Sohn.“
    „ Dann such mal schön“, spottete er mit angedeutetem Rundblick durch das gigantische unterirdische Labyrinth. „Aber leg lieber ne Brotkrumenspur.“
    „ Sebaaastiaaan!“, schrie Rita in die Dunkelheit.
    Nichts.
    „ Vielleicht alle zusammen...“
    „ Eins, zwei...“, zählte Herr Franz, und ich musste schmunzeln. Wir riefen Sebastians Namen mehrere Male gemeinsam im Chor und kreuz und quer durcheinander.
    „ Pscht“, machte Rita.
    „ Hier bin ich.“
    Diesmal hatten wir es deutlich gehört. Kein Zweifel, es war seine Stimme. Und sie kam nicht aus der Halle, sondern aus Richtung des Ganges, der von unseren Einstiegsräumen an der Saalöffnung vorbei in die andere Richtung geführt hatte.
    „ Na komm schon!“, befahl Rita, und ich sah den Schattenzügen ihres Gesichtes an, dass sie Wendelin am liebsten hinter sich hergeschleift hätte, wenn sie sich hätte überwinden können, ihn anzufassen.
    Nur widerwillig löste er sich vom Anblick des Gemäldes, starrte in die Schwärze der Halle und murmelte:
    „ Damit befasse ich mich noch.“
    „ Los jetzt!“
    Da er immer noch keine Anstalten machte, nahm ich ihn sanft am Arm und zog ihn in Richtung der Stimme, die wir gehört hatten. Wir folgten einer Art Korridor, der einmal im rechten Winkel nach rechts abbog, und gelangten an eine weitere Treppe.
    „ Sebastian?“
    Seine Stimme kam von unten und klang diesmal viel näher. So schnell wie möglich stiegen wir die Treppe hinab und blieben dabei dicht beieinander. Die Stufen waren aus nackten Steinen, die Wände unverputzt. Der Treppe schloss sich ein Kellergewölbe an.
    „ Sebastian?“
    Ritas Stimme hallte und gellte uns in den Ohren.
    „

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