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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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kannst du dem Türsteher einen blasen.«
    »Genau, so weit kommt’s noch.« Cassie lachte gequält.
    »Manchmal bist du echt eine Nervensäge, Cassie. Ich hab es so satt, mir den ganzen Abend Sorgen um dich zu machen.«
    »Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen. Du machst dein Ding und ich meins.«
    » Dein Ding? Was soll das denn sein, in der Ecke abhängen wie eine Stehlampe?« Lissa deutete auf die überfüllte Tanzfläche. »Warum mischst du dich nicht einfach mal unter die Leute? Lernst jemanden kennen. Einen Typen. Geh tanzen und dich amüsieren.«
    »Ich amüsiere mich doch«, sagte Cassie schlecht gelaunt und trank noch einen Schluck Bier.
    Ohne Vorwarnung nahm Lissa ihr die Dose weg. »Hier, nimm das. Das hellt deine Stimmung auf.« Sie hielt ihr eine kleine blaugrüne Pille mit einem aufgeprägten Playboy-Häschen hin.
    »Na super. Du machst mich hier an, weil ich Bier trinke, und jetzt willst du, dass ich Ecstasy schlucke.«
    »Jetzt komm schon, das ist eine Party. Alle nehmen es.«
    »Vielen Dank, ich verzichte. Ich lasse meine Neuronen lieber intakt. So ein Gehirn ist ein empfindliches Organ, damit sollte man vorsichtig umgehen.«
    »Davon kriegst du gute Laune.«
    »Ja, und mein Gehirn schrumpft in ein paar Jahren auf die Größe einer Walnuss.« Sie hielt die Holsten-Dose hoch. »Wenigstens hält meine Leber noch ein paar Jahrzehnte durch. Nach der Transplantation hör ich mit dem Trinken auf.«
    »Bitte schön«, zischte Lissa. »Dann behalt doch deine schlechte Laune. Besauf dich und kotz und mach dich lächerlich. Sollen dich doch alle für einen hoffnungslosen Fall halten. Wenn du dich nicht amüsieren willst, dann lass es. Du willst es doch gar nicht anders haben. Guck traurig und zieh die Stirn in Falten, damit jeder Mitleid mit dir hat. Bu-hu, die arme kleine Cassie, niemand versteht sie.«
    Cassie hatte die Nase voll; sie drehte sich um und brach den Streit damit abrupt ab. Lissa stürmte zurück zu Radu, der ihren Wortwechsel stirnrunzelnd mit angesehen hatte, doch das war Cassie egal. Sie ergab sich der Musik, und bald schon fühlte sie sich auf angenehme Art und Weise betäubt; sie mochte dieses Gefühl, wenn die Zeit stillzustehen schien. Gelassen lächelte sie und sah der im Licht des Stroboskops zuckenden Menge zu. Sie musste nicht Teil von alldem hier werden – sie musste sich nur auf den Teil ihres Ich konzentrieren, den sie mochte, sei er auch noch so winzig. Natürlich war das reine Theorie, doch der Alkohol half ihr, diesen Zustand zu erreichen.
    Niemand nahm sie wahr – und wenn schon.
    Niemand interessierte sich für Lissa Heydons »kleine« Schwester – na und?
    Allein hier in dieser Menge zu stehen war sicherer, als ein Teil dieser Menge zu sein. Da draußen gibt es genauso viel Traurigkeit wie hier drinnen . Allein zu sein war etwas völlig anderes, als einsam zu sein.
    Zumindest redete sie sich das ein.
    Die Musik glitt in gleichmäßigen Wellen über sie weg: Skinny Puppy, Faith and the Muse, This Mortal Coil, Joy Divison. Sie tanzte ein paar Nummern allein vor sich hin, und plötzlich war sie selbst Teil der Menge, sie wurde zum Teil des Ganzen, man akzeptierte sie. Exotische weiße Gesichter blitzten in der wunderbaren Düsternis des Clubs auf; Augen funkelten sie an, manche ekstatisch von Drogen oder Lust, andere einfach ekstatisch vom Leben. Ein Mädchen, das sie nie zuvor gesehen hatte – lange Beine, eng sitzende rote Korsage -, strich um sie herum, die karmesinroten Lippen zu einem entrückten Grinsen verzogen. Sanft streichelte sie Cassies Gesicht, bevor sie wieder in der Menge verschwand. Ein Junge in Schwarz musterte sie sehnsüchtig; er lächelte sie an, doch schon verschwand sein Gesicht wieder im Flackern des Stroboskops. Kaum erkennbare Pärchen küssten und streichelten sich – und nicht nur das – im Schutz der abgelegensten Winkel des Clubs, halb sichtbar wie waghalsige Gespenster. Cassies tiefschwarzes Haar fiel ihr über das Gesicht wie ein Schleier und gab ihr nur in rhythmischen Abständen ein Stück Sicht frei. Nun folgte härtere, ohrenbetäubendere Musik – aber es gefiel ihr. White Zombie, Tool, Marilyn Manson. Sie zuckte gequält, wenn fremde Körper sie anstießen, lächelte träumerisch, wenn eine Hand ihr versehentlich über Rücken oder Arme glitt. Die weniger versehentlichen Berührungen machten sie heute nicht so wütend wie sonst; sie fand es interessant, sogar anregend. Musik und Bewegung erreichten einen Höhepunkt, kurz bevor

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