Inferno - Höllensturz
Methode.
»Bitte«, flüsterte die Maémaè durch ihr Lächeln. »Schick mich hier weg …«
»Rauch«, sagte Cassie.
Es gab ein schwaches PUFF!, und die schönste Frau der Hölle löste sich in schwarzen Staub auf. Innerhalb des Staubs aber wirbelte ein glitzernder Nebel, ganz schwach. Er hing in der Luft, dann stieg er auf.
Und war verschwunden.
Der Staub des Astralkörpers der Maémaè sank wie Ruß auf den hölzernen Fußboden und hinterließ dort einen geisterhaften, transparenten Umriss. Doch darin waren die Züge der Frau noch erkennbar, besonders ihr Lächeln. Das Lächeln der Seligkeit inmitten des Elends.
Das Licht im Gewölbe war mittlerweile beinahe blendend. Cassie schirmte ihre Augen ab, als sie zu Angelese ging, die mit weit aufgerissenen Augen in einem Buch las. »Ich habe diese Sprache seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Selbst die Erzengel haben vergessen, wie sie gesprochen wird.«
»Was ist das für eine Sprache?«
»Sie heißt Zrætisch, der erste Urdialekt des göttlichen Tabernakels. Diese Sprache ist noch älter als das enochische Alphabet; sie wurde noch vor Adam und Eva gesprochen.«
Der Text war in einer steifen Handschrift verfasst. Hatte die Maémaè das geschrieben? Cassie erhaschte einen Blick auf die ersten unverständlichen Zeilen:
Eeaan nesaaa sen fø Brud de Liaat …
Dieselbe merkwürdige Sprache, die R.J. während der räumlichen Verschmelzung in der Klinik benutzte: In diesen Worten hatte er den Lähmungszauber über sie gesprochen. War das die Sprache der Engel? Allerdings spielte das kaum eine Rolle. Ich bin kein Engel , dachte sie. Ich könnte sie niemals verstehen.
»Allmächtiger Gott«, flüsterte Angelese.
»Was steht da?«, fragte Cassie.
Der Engel hatte noch nie so verstört gewirkt. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, während sie weiterlas.
»Was denn!«, bellte Cassie, außer sich vor Anspannung.
»Also im ersten Teil geht es um etwas, wovon wir schon wissen; allerdings ist es unvollständig. Es hat etwas mit Retrogationen zu tun. Astralen Retrogationen.«
»Davon hast du mir schon erzählt«, erinnerte Cassie sich. »Zeitreisen durch Hexerei.«
»Mhm. Luzifer hat schon seit einer ganzen Weile die Macht, das zu tun – durch etwas, das er aus dem Himmel gestohlen hat. Er kann in unterschiedliche historische Abschnitte zurückreisen, für jeweils sehr kurze Zeitspannen.«
»Und was auch immer sein großer Plan ist, er hat etwas damit zu tun?«
»Ganz offensichtlich, aber der Eintrag ist leider unvollständig.«
Das ärgerte Cassie. Sie hatten so viel auf sich genommen und hatten so einen steinigen Weg hinter sich, und jetzt erfuhren sie noch nicht mal die ganze Geschichte? »Ich dachte, alle Geheimnisse der Hölle würden hier aufbewahrt?«
»Alle vollständigen Geheimnisse. Es muss einen letzten Teil geben, der noch nicht fertig ist und an dem sie noch arbeiten. Und ich vermute mal, das hat etwas mit dir zu tun.«
»Der Grund, warum Luzifer mich haben will«, schlug Cassie vor.
»Ja. Er will nicht dich haben, er will deine Macht ; er braucht sie für etwas anderes. Aus dem gleichen Grund will er den Sohn des Äthers, von dem ich dir schon erzählt habe. Luzifer hat immer gern einen Trumpf im Ärmel, und er ist an Fehlschläge gewöhnt. Für den Fall, dass er dich nicht bekommen kann, hat er einen Ersatz gesucht.«
»Den Sohn des Äthers?«
»Richtig. Und genau den jagt er vermutlich gerade, seit wir der räumlichen Verschmelzung in der Klinik entkommen sind.«
Das alles frustrierte Cassie nur noch mehr. Geduld war noch nie ihre starke Seite gewesen. »Und was steht noch in dem Buch?«
»Der zweite Eintrag ist eine Zusammenfassung der räumlichen Verschmelzung in Maryland, wo …«
»Ich weiß, ich weiß, das hast du mir alles schon erzählt. Ein Gefallener Engel namens Zeihl hat Selbstmord begangen, in einer … Landkartenbibliothek oder dergleichen.«
»Genau. Und warum?«
Wie könnte Cassie die Erklärungen des Engels vergessen – hatte doch das Umbraphantom sie mit seinen Klauen gequält, weil sie diese Geheimnisse preisgegeben hatte. »Zeihl hat sich während der Verschmelzung in der Bibliothek inkarniert, dann beging er Selbstmord, um einen Kraftaustausch zu erzeugen. Das liegt in einer der Regeln begründet. Wenn ein Engel sich selbst opfert, dann können materielle Objekte zwischen den Welten transportiert werden. Zeihl hat etwas aus der Bibliothek in der Welt der Lebenden mitgenommen und es durch seinen Selbstmord zurück in die
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