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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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blassgoldene Haar der Maémaè schien in einer leichten Brise zu wehen, obwohl kein Lüftchen durch den fensterlosen Raum ging. Oben auf dem Podest konnte Cassie das Wesen noch besser bewundern, ihre körperliche Vollkommenheit inmitten einer Welt, die auf Irrtum und Hässlichkeit aufgebaut war. Ihre Bewegungen waren fließend wie ihre Stimme und verrieten wahre Eleganz, wahre Anmut. Die Rundungen ihrer Brüste bewegten sich kaum merklich in der teuflischen Korsage, die aufgerichteten Brustwarzen verrieten sich durch das dünne Material. Ihre verführerischen Beine steckten in Netzstrümpfen, die jedoch nicht aus Stoff waren, sondern sorgfältig aus Dämonenvenen geknüpft. Nicht nur das Haar der Maémaè schien sich von allein zu bewegen, auch ihre Hautfarbe veränderte sich ständig. Im einen Moment schien sie ein dunkles Violett zu besitzen, im nächsten war sie weiß wie Schneekristalle und wie von einem feinen Raureif überzogen. Auch der Geruch der Dämonin hatte nichts Dämonisches; er bildete einen weiteren Gegensatz zu ihrer höllischen Umgebung. Dem glänzenden, flachsblonden Haar entströmte ein Duft wie der einer Sommerwiese nach dem Regen.
    »Die sind hübsch«, flüsterte die Maémaè und fuhr mit einem schlanken Finger über das Netz aus Narben auf Angeleses Arm. Dann schwebte sie zu Cassie herüber und fuhr mit demselben Finger sanft ihren Hals hinab bis zur Kehle, wo ihre Fingerkuppe bei dem Medaillon mit Lissas Bild stehen blieb. »Und das hier auch …«
    »Was würde passieren, wenn du uns lesen ließest?«, unterbrach Angelese diese Inspektion.
    »Ich würde meine Stelle hier in den Archiven verlieren.« Jetzt blitzten ihre Augen tiefrot über dem unwirklichen Lächeln. »Und die würde ich niemals in Gefahr bringen wollen.«
    »Was ist schon dabei? Sieht nicht nach einem besonders tollen Arbeitsplatz aus«, bemerkte Cassie spitz. »Du sitzt hier bis in alle Ewigkeit herum und bewachst einen Haufen Bücher, die niemand liest.«
    »Ich mag die Beschaulichkeit.« Die Stimme wirbelte um Cassies Kopf herum wie ein Schwarm Motten. »Man sollte niemals für selbstverständlich halten, was man hat.« Nun schwebte nicht nur die Stimme, sondern die ganze Frau um Cassie herum, und ihre Finger strichen über Cassies Schultern, ihren Rücken, das Dekolletee. »Ja, ein Engel …«
    Cassie wurde nervös und ungeduldig. »Ich hab dir schon mal gesagt, ich bin kein Engel, ich bin eine Tochter des Äthers.«
    Jetzt streichelten die eleganten Finger der Maémaè über Cassies nackte Arme und blieben auf ihrer Hand liegen.
    Bitte , dachte Cassie und biss sich auf die Lippe. Bitte sag mir, dass die Bibliothekarin der Hölle gerade NICHT versucht, mich anzumachen.
    »Vorsehung, Unendlichkeit, Prunk und Hass«, flüsterte die Maémaè nun. Ihre Hand verließ Cassies Finger. »Alles dasselbe, auf eine gewisse Art.«
    Cassie verstand diese Worte nicht, und Angelese schien die Bedeutung ebenfalls zu entgehen. Oder zumindest war es ihr eindeutig egal, falls sie es verstand. Doch als Cassie einen Augenblick darüber nachdachte, vermutete sie, dass die Menschen und ihre Erwartungen gemeint waren, die überall gleich waren.
    Dann dachte sie: Ob sie wohl im Himmel genauso sind?
    »Ich habe etwas zum Tausch anzubieten«, erklärte Angelese.
    »Du besitzt nichts, was ich wollen könnte.«
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    »Vielleicht sollte ich es so formulieren: Nichts von dem, was ich mir wünsche, kannst du mir geben.«
    Der Engel wiederholte: »Bist du wirklich sicher?«
    Als die Maémaè näher trat, changierte ihre Haut wieder, diesmal zu einem Schwarzbraun, wie bei einem Chamäleon auf einer dunklen Baumrinde. »Geh zurück in den Himmel und sei dankbar.«
    »Willst du denn nicht wissen, was es ist, das ich dir anzubieten habe?«, bohrte der Engel weiter.
    Also ich schon, zum Teufel noch mal , dachte Cassie. Wieso war sich Angelese so sicher, dass sie der Maémaè etwas Unwiderstehliches zu bieten hatte?
    »Ach nein, ich wäre nur enttäuscht.« Das kryptische Lächeln der Archivarin wirkte schelmisch. »Darin wurzelt meine Heimat, das ist das Blut ihres Herzens. Enttäuschung.«
    Angelese sah ihr direkt in die Augen und sagte: »Ich habe die Macht, deine Verdammnis zu widerrufen.«
    Das Echo dieser Worte hallte lange nach.
    Winzige Tränen, wie Diamantenstaub, glitzerten in den Augen der Maémaè. Ihre Lippen öffneten sich mehrmals, als wollte sie sprechen, doch sie konnte keine Worte finden. Stattdessen glitt eine

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