Inferno
Sienna sie genauer in Augenschein nehmen konnten.
Sogar durch das Plastik des Beutels hindurch wirkte sie bemerkenswert lebensecht. Jede Falte, jede Unreinheit im Gesicht des verstorbenen Dichters waren im nassen Gips verewigt worden. Abgesehen von einem Sprung in der Mitte war die Maske perfekt erhalten.
»Drehen Sie sie um, Robert«, flüsterte Sienna. »Werfen wir einen Blick auf die Rücksei…«
Langdon drehte die Maske bereits, ehe Sienna den Satz vollenden konnte. Auf dem Sicherheitsvideo des Palazzo Vecchio war deutlich zu sehen gewesen, wie Langdon und il Duomino auf der Rückseite etwas entdeckt hatten – etwas, das von solch verblüffendem Interesse für die beiden Männer gewesen war, dass sie das kostbare Artefakt mitgenommen hatten.
Darauf bedacht, den empfindlichen Gips nicht zu beschädigen, verlagerte Langdon die umgedrehte Maske sanft in die rechte Hand und nahm die Rückseite in Augenschein. Im Gegensatz zur verwitterten Textur von Dantes Gesicht war die Innenseite der Maske glatt. Und weil sie nie zum Tragen gedacht gewesen war, hatte man die Innenseite mit Gips aufgefüllt, um das empfindliche Stück ein wenig zu stabilisieren. Die entstandene konkave Fläche erinnerte an eine flache Suppenschüssel.
Langdon wusste nicht, was er auf der Rückseite zu finden hoffte – jedenfalls bestimmt nicht das, was er nun sah.
Nichts.
Absolut nichts.
Nichts außer einer leeren, glatten Oberfläche.
Sienna schien genauso verblüfft wie Langdon. »Nackter Gips«, flüsterte sie. »Aber wenn nichts zu sehen ist – was haben Sie und Ignazio Busoni dann gefunden?«
Wenn ich das wüsste , dachte er und zog das Plastik des Beutels straff, um besser sehen zu können. Da ist nichts! Mit zunehmender Verzweiflung hielt Langdon die Maske in einen hellen Lichtstrahl, der aus einem der kleinen Fenster an der Wand fiel, und musterte das Artefakt erneut. Als er die Maske ein wenig drehte, glaubte er für einen Augenblick, eine schwache Verfärbung am oberen Rand zu erkennen – eine Art Markierung, die sich horizontal über die Innenseite von Dantes Stirn zog.
Eine Schwachstelle im Gips? Oder vielleicht … etwas anderes? Langdon fuhr herum und deutete auf eine Marmorklappe an der Wand hinter ihnen. »Sind Sie so nett und sehen nach, ob es dort Handtücher gibt?«, sagte er zu Sienna.
Sienna musterte Langdon skeptisch, doch sie kam seiner Bitte nach und öffnete die Klappe. Zum Vorschein kam ein diskret verborgenes Fach, in dem sich drei Dinge befanden: ein Hahn, mit dem sich der Wasserstand im Taufbecken regulieren ließ, ein Lichtschalter für den Scheinwerfer genau über dem Becken … und ein Stapel Handtücher.
Sienna bedachte Langdon mit einem überraschten Blick. Langdon hatte genügend Kirchen auf der ganzen Welt besucht und wusste, dass es in der Nähe von Taufbecken fast immer Tücher oder Windeln für den Notfall gab – die Unkontrollierbarkeit von Säuglingsblasen war ein universales Risiko bei jeder Taufe.
»Gut«, sagte er mit einem Blick auf die Tücher. »Halten Sie die Maske kurz?« Behutsam übergab er Sienna das wertvolle Stück, dann machte er sich an die Arbeit.
Zuerst nahm er den sechseckigen Deckel vom Boden und deckte damit das Becken wieder zu. Dann breitete er mehrere Leinentücher darauf aus. Schließlich betätigte er den verborgenen Schalter. Hoch über dem Becken flammte der Scheinwerfer auf und tauchte alles in gleißendes Licht.
Sanft legte Sienna die Maske auf die Tücher.
Langdon öffnete den Beutel. Sorgsam darauf bedacht, die Maske nicht mit bloßen Händen zu berühren, benutzte er zwei Tücher, um sie aus ihrer Plastikhülle zu ziehen. Einige Augenblicke später lag die Maske ungeschützt mit dem Gesicht nach oben im grellen Licht wie ein narkotisierter Patient auf dem Operationstisch.
Die Textur der Maske wirkte im grellen Licht noch dramatischer. Sie wirkte uralt, allein durch die zahllosen Falten und Runzeln, und der vergilbte Gips verstärkte diesen Eindruck noch. Langdon verschwendete keine Zeit und drehte die Maske um.
Die Rückseite sah deutlich weniger alt aus als die Vorderseite – weiß und sauber anstatt vergilbt und schmutzig.
Sienna neigte den Kopf und sah Langdon verblüfft an. »Sieht diese Seite tatsächlich neuer aus, oder irre ich mich?«
Der Farbunterschied war deutlicher, als Langdon erwartet hatte, doch zweifellos war die Innenseite ebenso alt wie die Vorderseite. »Ungleichmäßige Alterung«, mutmaßte er. »Die Rückseite der Maske
Weitere Kostenlose Bücher