Inferno
Taufbecken ein großes achteckiges Bassin gewesen war, das man genau im Zentrum der Kapelle in den Boden eingelassen hatte. Heutzutage standen die viel kleineren Becken meist auf Säulen. Damals hatte man tiefe Wannen vorgezogen und den Täufling vollständig untergetaucht. Langdon stellte sich kleine Kinder vor, die in das eiskalte Wasser getaucht wurden, und malte sich ihre durch den Raum hallenden panischen Schreie aus.
»Die Taufzeremonien damals waren eine kalte und beängstigende Angelegenheit«, erklärte Langdon. »Echte Übergangsriten, manchmal nicht ungefährlich. Angeblich ist Dante einmal in das Becken gesprungen, um ein Kind vor dem Ertrinken zu retten. Wie auch immer … irgendwann im sechzehnten Jahrhundert wurde das alte Taufbassin überdeckt.«
Sienna blickte sich ratlos um. »Aber wenn das alte Taufbecken nicht mehr da ist … Wo hat Ignazio dann die Maske versteckt?«
Langdon verstand ihre Ratlosigkeit. In der weiten Halle herrschte kein Mangel an Versteckmöglichkeiten: hinter Säulen, Statuen, Gräbern, in Nischen, beim Altar, sogar oben auf der Galerie.
Dennoch war Langdon bemerkenswert zuversichtlich, als er sich zum Eingang umwandte. »Wir sollten da drüben anfangen«, sagte er und deutete auf eine Stelle rechts neben der Paradiespforte.
Dort stand auf einem kleinen Podium hinter einem Ziergitter eine sechseckige Plinthe aus Marmor, vielleicht einen Meter dick und ebenso hoch. Sie sah aus wie ein kleiner Altar. Der Stein war so kunstvoll geschliffen, dass er glänzte wie Perlmutt. Den Abschluss bildete eine passende dicke Platte aus poliertem Holz.
Sienna blickte unsicher drein, als sie Langdon zu dem Podium folgte. Sie stiegen die Stufen hinauf, und Sienna ahnte plötzlich, was sie da vor sich sah. Es verschlug ihr die Sprache.
Langdon lächelte. Genau. Das ist weder ein Altar noch ein Tisch . Die polierte Holzplatte war ein Deckel – eine Abdeckung für den Hohlraum darunter.
»Ist das etwa ein Taufbecken?«, fragte Sienna.
Langdon nickte. »Würde Dante heute getauft, dann in diesem Becken hier.« Er verschwendete keine weitere Zeit, atmete tief durch und legte die Hände auf die Abdeckung. Aufregung überkam ihn, als er sich innerlich auf das vorbereitete, was ihn unter der Abdeckung erwartete.
Mit einem entschlossenen Ruck schob er die Platte seitlich von der Plinthe und setzte sie behutsam daneben ab. Ein vielleicht sechzig Zentimeter durchmessender Hohlraum kam zum Vorschein. Langdon kniff die Augen zusammen.
In dem dunklen Taufbecken ruhte ein schauriges Gebilde. Langdon schluckte.
Aus den Schatten starrte ihn das tote Gesicht von Dante Alighieri an.
KAPITEL 56
Suche, und du wirst finden.
Langdon stand vor dem Taufbecken und betrachtete die vergilbte Maske, deren runzliges Antlitz leeren Blickes nach oben sah. Die Adlernase und das vorstehende Kinn waren unverwechselbar.
Dante Alighieri .
Das Gesicht des Toten allein war bestürzend, doch etwas an der Art und Weise, wie es im Becken ruhte, schien geradezu übernatürlich. Einen Moment lang war Langdon völlig verwirrt.
Kann es sein, dass sie … schwebt?
Langdon ging in die Hocke und beäugte die Maske eingehender. Das Becken war unerwartet tief – mehr ein kleiner Brunnen – und zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Die Maske schien wie durch Magie auf halber Höhe zu verharren … dicht über der Wasseroberfläche.
Es dauerte einen Moment, bis Langdon begriff, was die Illusion verursachte. Genau in der Mitte des Beckens befand sich ein Rohr, das sich unmittelbar über der Wasserfläche zu einem flachen Metallteller weitete – vielleicht ein dekorativer Sprühkopf oder eine Art Sitz für einen Baby-Popo. Gegenwärtig diente er dazu, Dantes Totenmaske in sicherem Abstand zum Wasser zu lagern.
Weder Langdon noch Sienna sagten etwas, als sie hinuntersahen auf das runzlige Gesicht von Dante Alighieri, sicher verpackt im transparenten Ziploc-Beutel, als hätte jemand ihn erstickt. Die Totenmaske, die ihm aus dem wassergefüllten Becken entgegenblickte, erinnerte Langdon für einen Moment an das traumatische Erlebnis in seiner Kindheit – als er am Boden eines Brunnens festgesessen und verzweifelt nach oben gestarrt hatte.
Er verdrängte den Gedanken und ergriff die Maske behutsam an den Seiten, etwa auf der Höhe, wo Dantes Ohren gewesen wären. Obwohl das Gesicht des Poeten eher klein war, war die antike Maske erstaunlich schwer. Langsam nahm Langdon sie aus dem Becken und hielt sie hoch, sodass er und
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