Inferno
Segen erhoben.
Dann, als wäre Mirsat plötzlich ein Licht aufgegangen, verzog er die Lippen zu einem wissenden Lächeln und wedelte mit dem Finger. »Sehr clever!«, sagte er. »Wirklich sehr clever!«
Langdon starrte ihn an. »Wie bitte?«
»Keine Angst, Professor«, flüsterte Mirsat verschwörerisch. »Ich werde niemandem sagen, warum Sie wirklich hier sind.«
Sinskey und Brüder sahen Langdon verblüfft an.
Langdon konnte nur mit den Schultern zucken, als Mirsat die Tür aufstieß und sie in die Kirche führte.
KAPITEL 88
»Das Achte Weltwunder« hatten schon viele diesen Raum genannt. Die Hagia Sophia war von solch gewaltiger Größe, dass sie ihren Besuchern meist im ersten Moment die Sprache verschlug. So erging es auch Langdon und seinen Begleitern, als sie das kolossale Kirchenschiff betraten.
Der Raum war so riesig, das selbst die großen Kathedralen Europas dagegen wie architektonische Zwerge wirkten. Wie Langdon wusste, beruhte dieser Eindruck zumindest teilweise auf einer Illusion: ein dramatischer Nebeneffekt des byzantinischen Bauplans, der alles in einem einzigen Hauptraum vereinte, statt es auf mehrere Quer- und Nebenschiffe zu verteilen, wie es bei vielen kreuzförmig angelegten Kirchen der Fall war.
Dieses Gebäude ist siebenhundert Jahre älter als Notre-Dame , dachte Langdon.
Nachdem er die Dimensionen des Raums einen Augenblick auf sich hatte wirken lassen, wanderte sein Blick nach oben, mehr als fünfundfünfzig Meter hinauf zu der ausladenden goldenen Kuppel, die den Raum krönte. Von ihrem Mittelpunkt aus führten vierzig Rippen wie Sonnenstrahlen zu einem Ring aus vierzig Bogenfenstern. Tagsüber wurde das einfallende Licht von den im Boden eingelassenen Glasscherben reflektiert. So entstand das ›Mystische Licht‹, für das die Hagia Sophia so berühmt war.
Langdon hatte das »goldene Ambiente« dieses Raums nur einmal adäquat in einem Gemälde wiedergegeben gesehen. John Singer Sargent . Der amerikanische Künstler hatte bei seinem bekannten Gemälde der Hagia Sophia besonderen Wert auf die Farbwahl und Schattierungen gelegt. Das Licht sollte wirken wie …
Gold .
Die funkelnde goldene Kuppel wurde oft als die ›Kuppel des Himmels‹ bezeichnet. Sie ruhte auf vier gewaltigen Bögen, die wiederum von einer Reihe kleinerer Bögen und Tympanons gestützt wurden. So entstand der Eindruck, als führe eine Kaskade aus architektonischen Formen vom Himmel bis zur Erde.
Und ebenfalls vom Himmel zur Erde, wenn auch auf direkterem Weg, führten eine Reihe langer Kabel. Sie versorgten die Leuchter mit Strom, die so nah über dem Boden hingen, dass großgewachsene Besucher ständig Gefahr liefen, sich an ihnen den Kopf zu stoßen … zumindest wirkte es so. In Wahrheit war jedoch auch das wieder nur eine optische Täuschung, begründet in der Riesenhaftigkeit des Raumes, denn tatsächlich hingen die Leuchter mehr als dreieinhalb Meter über dem Boden.
Wie bei allen großen Gotteshäusern dienten auch die gewaltigen Ausmaße der Hagia Sophia zwei unterschiedlichen Zwecken. Zum einen sollten sie Gott zeigen, was der Mensch alles auf sich nahm, um ihm Tribut zu zollen. Zum anderen diente die Größe als eine Art Schocktherapie für die Gläubigen. In diesem Umfeld sollte sich der Mensch klein und bedeutungslos fühlen, ein Staubkorn im Angesicht Gottes … ein Atom in der Hand des Schöpfers.
Bis der Mensch nichts mehr ist. Gott kann ein Nichts aus ihm machen . Das hatte Martin Luther im sechzehnten Jahrhundert gesagt, doch das Konzept war schon den Schöpfern der ersten religiösen Bauten bewusst gewesen.
Langdon blickte zu Brüder und Sinskey, die staunend zur Decke starrten.
»Jesses«, staunte Brüder.
»Ja!«, sagte Mirsat aufgeregt. »Und Allah und Mohammed auch!«
Langdon lachte leise, als ihr Führer Brüder den Hauptaltar zeigte, über dem ein riesiges Jesusmosaik von zwei Tafeln flankiert wurde. Auf den Tafeln standen die Namen »Mohammed« und »Allah« in schönster arabischer Kalligrafie geschrieben.
Mirsat lächelte stolz. »Um die Besucher daran zu erinnern, dass dieses Gotteshaus sowohl byzantinische Basilika als auch muslimische Moschee gewesen ist, finden sich hier dicht nebeneinander sowohl Beispiele christlicher als auch muslimischer Ikonografie. Auch wenn es in unserer Welt durchaus Reibungspunkte zwischen beiden Religionen gibt, haben wir das Gefühl, dass ihre Symbole recht gut zusammenpassen. Ich weiß, dass Sie mir in diesem Punkt zustimmen,
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