Inferno
Knowlton. Er hatte noch nie erlebt, dass der Provost eine andere Maßnahme toleriert hätte als die, die mit dem jeweiligen Klienten vereinbart war. Er wird anordnen, dass ich das Video veröffentliche, ohne Fragen zu stellen … Und er wird wütend auf mich sein, weil ich es gewagt habe zu fragen.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Computer und zog die Abspielmarkierung zu einer besonders alarmierenden Stelle zurück. Dann drückte er auf PLAY .
Die in unheimlichem Rot leuchtende Kaverne erschien auf dem Schirm, begleitet vom Plätschern des Wassers. Auf der nassen Wand war ein bedrohlicher Schatten zu sehen – der Schatten eines Mannes mit einem langen, vogelartigen Schnabel.
Dann sagte die deformierte Gestalt mit dumpfer Stimme:
Dies ist das neue Dunkle Zeitalter. Vor Jahrhunderten war Europa im eigenen Elend gefangen, die Bevölkerung hungrig, dicht gedrängt im Sumpf der Sünde und ohne jede Hoffnung. Sie war wie ein Wald, der erstickt unter den Massen von Totholz und auf Gottes erlösenden Blitzschlag wartet – jenen Funken, der endlich das Feuer entzündet, auf dass es über das Land fege und das tote Holz verzehre, um den überlebenden Wurzeln wieder Licht und Sonne zu bringen.
Die Auslese ist Gottes natürliche Ordnung.
Ihr wisst selbst, was auf den Schwarzen Tod folgte.
Wir alle kennen die Antwort.
Die Renaissance.
Die Wiedergeburt.
So war es immer. Auf den Tod folgt die Geburt.
Um das Paradies zu erreichen, muss der Mensch durch das Inferno.
Das hat der Meister uns gelehrt.
Und doch wagt es die silberhaarige Ignorantin, mich ein Monster zu nennen. Begreift sie denn immer noch nicht die Mathematik der Zukunft? Das Entsetzen, das sie über uns bringen wird?
Ich bin der Schatten.
Ich bin eure Erlösung.
Und so stehe ich, verborgen in den Tiefen dieser Kaverne, und blicke hinaus auf die Lagune, in der sich nie spiegeln die Sterne. Hier an diesem versunkenen Ort unter den Wassern schwelt Inferno.
Bald schon wird es ausbrechen.
Und wenn es soweit ist, vermag nichts und niemand auf der Erde es mehr aufzuhalten.
KAPITEL 11
Das kleine Objekt in Langdons Hand war überraschend schwer: ein schmaler, glattpolierter Metallzylinder von vielleicht fünfzehn Zentimetern Länge, an beiden Enden abgerundet wie ein Miniaturtorpedo.
»Bevor Sie zu grob damit umgehen, sollten Sie vielleicht einen Blick auf die andere Seite werfen«, warnte Sienna und lächelte angespannt. »Sie sagen, Sie sind Symbolforscher?«
Langdon betrachtete den Zylinder und drehte ihn langsam zwischen Daumen und Zeigefingern, bis ein hellrotes Symbol zu sehen war.
Schlagartig wurde er nervös.
Als Gelehrter der Ikonografie wusste er, dass es nur wenige Bilder gab, die die Macht besaßen, im Bruchteil einer Sekunde Angst im menschlichen Verstand auszulösen … das Symbol auf dem Zylinder gehörte definitiv auf die kurze Liste. Langdons Reaktion war dementsprechend instinktiv und unmittelbar; er legte den Zylinder auf den Tisch und rückte mit dem Stuhl davon ab.
Sienna nickte. »Ja. Genauso habe ich auch reagiert.«
Die Markierung auf dem dünnen Rohr war ein einfaches Piktogramm.
Das berüchtigte Piktogramm, so hatte Langdon einmal gelesen, war in den 1960ern von Dow Chemical entwickelt worden, um eine ganze Reihe anderer unwirksamer Warnschilder abzulösen, die damals Standard waren. Wie alle erfolgreichen Symbole, so war auch dieses einfach, charakteristisch und leicht zu reproduzieren. Indem es geschickte Assoziationen mit allen möglichen Dingen erzeugte, angefangen bei Krebsscheren bis hin zu Ninja-Wurfsternen, war das moderne »Biohazard«-Piktogramm zu einem globalen Symbol für Gefahr geworden.
»Dieser kleine Zylinder ist ein ›BioTube‹, eine Art Schutzbehälter. Er wird für den Transport biologisch gefährlicher Substanzen benutzt. Wir haben in der Medizin manchmal mit solchen Dingen zu tun. Im Inneren ist ein Schaumstoffpolster, in das man ein Probenröhrchen stecken kann. In diesem speziellen Fall …«, sie deutete auf das Biohazard-Symbol. »… vermutlich eine tödliche chemische Substanz … oder ein Virus.« Sie zögerte. »Die ersten Ebola-Proben wurden in ähnlichen Behältern aus Afrika gebracht.«
Das war ganz und gar nicht das, was Langdon hören wollte. »Was zum Teufel macht das in meiner Jacke? Ich bin Professor für Kunstgeschichte! Was habe ich mit diesem Ding zu schaffen?«
Bilder von sich windenden Leibern, Blut und Tod schossen ihm durch den Kopf … und über allem die
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