Inferno
alle, die schon einmal etwas veröffentlicht haben, zweifellos wissen, gibt es nichts, was ein Schriftsteller mehr schätzt als einen Blurb – die einzeilige Lobpreisung einer anderen einflussreichen Person, die das neuste Werk des Autors zum Kauf empfiehlt. Auch im Mittelalter existierten diese Blurbs. Dante bekam eine ganze Menge davon.«
Langdon wechselte das Dia. »Was würden Sie dazu sagen, das hier auf Ihrem Bucheinband zu finden?«
Nie wandelte auf der Erde ein größrer Mann als er.
– Michelangelo
Überraschtes Gemurmel ging durch die Menge.
»Ganz recht«, sagte Langdon. »Es ist der gleiche Michelangelo, den Sie von der Sixtinischen Kapelle her kennen. Der Michelangelo, der den David erschaffen hat. Er war nicht nur ein meisterhafter Maler und Bildhauer, sondern auch ein superber Poet, der nahezu dreihundert Gedichte veröffentlicht hat. Auch eines mit dem Titel ›Dante‹, dem Mann gewidmet, dessen grelle Höllen-Visionen Michelangelo zu seinem Jüngsten Gericht inspirierten. Falls Sie mir nicht glauben – lesen Sie den dritten Gesang von Dantes Inferno und besuchen Sie anschließend die Sixtinische Kapelle. Direkt über dem Altar finden Sie dieses bekannte Bild.«
Langdon zeigte ein weiteres Dia: einen Bildausschnitt, in dem ein muskelbepacktes Ungeheuer zu sehen war, das mit einem gigantischen Paddel nach sich duckenden Menschen schlug. »Das ist Dantes höllischer Fährmann Charon, der seine Passagiere mit einem Ruder malträtiert.«
Das nächste Dia – eine zweite Detailaufnahme von Michelangelos Jüngstem Gericht , zeigte einen Mann, der gekreuzigt wurde. »Das hier ist Haman der Agagiter, der laut der Heiligen Schrift durch Hängen gerichtet wurde. In Dantes Werk wird er stattdessen gekreuzigt. Wie Sie sehen, hat Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle Dantes Version der Heiligen Schrift vorgezogen.« Langdon grinste und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Aber sagen Sie es nicht dem Papst.«
Die Menge lachte.
»Dantes Inferno erschuf eine Welt voller Pein und Leid, eine noch nie dagewesene Herausforderung für die Vorstellungskraft der Menschen. Sein Werk definiert buchstäblich unser modernes Bild von der Hölle.« Langdon legte eine kurze Pause ein. »Glauben Sie mir«, fuhr er schließlich fort, »die katholische Kirche hat Dante eine Menge zu verdanken. Sein Inferno hat die Gläubigen viele Jahrhunderte lang in Angst und Schrecken versetzt und ganz zweifellos die Zahl der Kirchgänger unter den Furchtsamen verdreifacht.«
Langdon wechselte das Dia. »Was uns zu dem Grund führt, aus dem wir alle heute Abend hergekommen sind.«
Die Leinwand zeigte den Titel seines Vortrags:
GÖTTLICHER DANTE – SYMBOLE DER HÖLLE
»Dantes Inferno ist ein Werk so reich an Symbolen und Ikonografie, dass ich oft ein ganzes Semester darauf verwende. Für heute Abend habe ich mir etwas Besonderes ausgedacht: Wir werden die Symbole von Dantes Inferno gemeinsam enthüllen, indem wir neben ihm her gehen … durch die Tore der Hölle.«
Langdon trat zum Rand des Podiums und sah hinaus auf die Zuschauermenge. »Bei einem Spaziergang durch die Hölle empfehle ich dringend, eine Karte zu benutzen. Welche Karte von Dantes Hölle wäre vollständiger und genauer als jene, die Sandro Botticelli angefertigt hat?«
Er drückte auf den Knopf seiner Fernbedienung, und Botticellis Mappa dell’Inferno erschien auf der Leinwand. Ein Raunen ging durch die Zuschauer, als sie die verschiedenen Schrecken in der trichterförmigen unterirdischen Hölle betrachteten.
»Anders als die meisten Künstler war Botticelli extrem werkgetreu bei seiner Interpretation von Dantes Text. Er verbrachte so viel Zeit damit, Dantes Werke zu studieren, dass der große Kunsthistoriker Giorgio Vasari schrieb, Botticellis Besessenheit hätte zu ›ernsten Störungen in seinem Leben‹ geführt. Tatsächlich schuf Botticelli mehr als zwei Dutzend Werke, die auf Dante Bezug nehmen. Die Karte der Hölle ist das berühmteste von allen.«
Langdon wandte sich um und deutete auf die obere linke Ecke des Gemäldes. »Unsere Reise beginnt dort oben, über der Erde, wo Sie Dante in Rot sehen. Er steht zusammen mit seinem Führer Vergil vor den Toren der Hölle. Von dort aus werden wir hinabreisen, durch die neun Kreise von Dantes Inferno, bis wir schließlich dem Leibhaftigen persönlich gegenüberstehen …«
Langdon
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