Inferno
riss die Waffe hoch. Ein dunkler Schatten flog erschreckend schnell heran. Vayentha feuerte, doch der Angreifer duckte sich tief, stieß sich vom Boden ab und prallte mit voller Wucht gegen sie.
Vayentha wurde von den Beinen gerissen, krachte mit dem Steißbein gegen das niedrige Geländer der Plattform und kippte rücklings hinüber. Verzweifelt ruderte sie mit den Armen, als sie versuchte, sich an irgendetwas festzuhalten. Es war zu spät.
Sie fiel durch die Dunkelheit und wappnete sich gegen den Aufprall auf der staubigen Decke zweieinhalb Meter tiefer. Eigenartigerweise war die Landung viel sanfter, als sie es für möglich gehalten hätte … als wäre sie in einem Sprungtuch gelandet, das nun unter ihrem Gewicht langsam nachgab.
Für einen kurzen Moment lag sie desorientiert auf dem Rücken und starrte nach oben. Sienna Brooks stand am Geländer und sah zu ihr herunter. Benommen öffnete Vayentha den Mund, um etwas zu sagen, doch in diesem Moment hörte sie unter sich das Geräusch reißenden Stoffs.
Das Tuch und die Leinwand, die ihr Gewicht getragen hatten, rissen auseinander.
Vayentha fiel erneut.
Diesmal fiel sie drei lange Sekunden. Während des Sturzes starrte sie nach oben auf eine Decke voller wunderschöner Gemälde. Das Bild direkt über ihr – ein riesiges rundes Bildnis von Herzog Cosimo I., umringt von kleinen Engeln auf einer himmlischen Wolke – zeigte genau in der Mitte einen langen, dunklen Riss.
Und dann versank Vayenthas Welt mit einem plötzlichen lauten Krachen im Nichts.
Von seinem Querträger oben im Gebälk spähte Langdon ungläubig durch Vasaris zerrissene Apotheose in den Saal darunter. Auf dem Steinboden lag die stachelhaarige Attentäterin in einer rasch größer werdenden Blutlache. Ihre Hand umklammerte noch immer die schallgedämpfte Pistole, mit der sie auf Langdon gefeuert hatte.
Langdon sah zu Sienna, die ebenfalls wie gebannt nach unten starrte. Ihr Gesicht verriet blankes Entsetzen. »Ich … ich wollte nicht …«
»Sie haben instinktiv reagiert«, flüsterte Langdon. »Diese Frau wollte mich erschießen .«
Von unten hallten die ersten alarmierten Rufe herauf.
Langdon kletterte auf den Steg, dann führte er Sienna behutsam vom Geländer weg. »Wir müssen von hier verschwinden.«
KAPITEL 49
Im geheimen Studio der Herzogin Bianca Cappello vernahm Agent Brüder einen lauten dumpfen Schlag, gefolgt von aufgeregten Rufen unten im Saal der Fünfhundert. Er stürzte zu dem Gitter in der Wand und spähte hindurch. Er benötigte mehrere Sekunden, um die Szene auf dem eleganten Steinboden zu erfassen.
Die schwangere Kuratorin hatte ihn und sein Team inzwischen eingeholt. Sie spähte ebenfalls durch das Gitter und schlug vor Entsetzen die Hand vor den Mund – dort unten lag eine gekrümmte Gestalt in einer riesigen Blutlache, umgeben von panischen Touristen. Dann wanderte ihr Blick langsam zur Decke des Saals, und sie stieß ein gequältes Wimmern aus. Brüder folgte ihrem Blick zu einem runden Deckengemälde – einer Leinwand mit einem großen Riss in der Mitte.
Er wandte sich der Frau zu. »Wie kommen wir da hinauf?«
Am anderen Ende des Gebäudes rannten Langdon und Sienna die Treppe vom Dachstuhl hinab und hasteten durch eine Tür in den Palazzo. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Langdon den kleinen Alkoven gefunden hatte, den er von seiner Führung durch die geheimen Passagen und Gänge von Florenz kannte. Der Eingang zur Treppe des Herzogs von Athen lag geschickt getarnt hinter einem roten Vorhang.
Der Lärm rennender Schritte und gebrüllter Befehle schien inzwischen aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Langdon wusste, dass sie keine Zeit mehr verlieren durften. Er zog den Vorhang beiseite, und sie schlüpften durch die dahinterliegende Öffnung. Sie standen auf einem schmalen Treppenabsatz.
Ohne weitere Worte stiegen sie die beängstigend enge und steile Treppe hinab, die im Zickzack nach unten führte. Nach jeder Biegung schienen die Wände enger zusammenzurücken. Panik stieg in Langdon auf, doch dann erreichten sie unvermittelt das Ende der Stufen.
Geschafft.
Sie befanden sich in einer winzigen gemauerten Kammer. Die Tür vor ihnen war ein willkommener Anblick … und gewiss eine der kleinsten der Welt. Nicht viel höher als einen Meter, war sie aus massivem Holz mit eisernen Nieten gearbeitet und innen mit einem schweren Riegel gesichert, um Unbefugte am Betreten zu hindern.
»Ich kann draußen Straßenlärm hören«,
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