Infiziert
Stammzellen, doch diesmal gingen sie vorsichtig vor. Mikrofilamente von wenigen Nanometern Durchmesser glitten in die Stammzellen-DNA. Glitten hinein und fingen an, sie zu verändern.
Denn die »Ableser« sollten nicht nur lesen.
Sie sollten auch schreiben.
Die Stammzellen besaßen kein Bewusstsein. Sie hatten keine Vorstellung davon, dass sie gerade versklavt worden waren. Sie taten dasselbe wie immer: Sie ließen neue Zellen wachsen. Die neuen Zellen, die sie produzierten, waren nur minimal verschieden von denen, zu deren Bau sie ursprünglich vorgesehen waren. Diese neuen Zellen lagerten sich überall an dem wachsenden Grundgerüst an und fügten Muskelfasern und andere, speziellere Gewebsarten hinzu.
Was einstmals eine mikroskopische Samenkapsel gewesen war, hatte den Körper des Wirts übernommen und benutzte dessen natürlichen biologischen Prozesse, um etwas Fremdes zu schaffen, das in gewisser Weise viel heimtückischer war als ein Virus.
Die Keimlinge besaßen zwar keine Vorstellung von Zeit, doch es waren nur wenige Tage nötig, um ihre Mission zum Abschluss zu bringen.
6
Der tägliche Trott
Perry betrat das Gebäude von American Computer Solutions – ACS für alle, die hier arbeiteten – um sieben Minuten vor neun. Er joggte zu seinem mit Stellwänden abgetrennten Arbeitsbereich, während er nach allen Seiten grüßte und gegrüßt wurde. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, warf die Aktenmappe auf den grauen Schreibtisch und schaltete seinen
Computer ein. Das elektronische Signal klang so munter, als freue sich die Maschine darauf, dem Fegefeuer zu entkommen, das sie im ausgeschalteten Zustand offensichtlich erdulden musste. Dann fing sie mit den RAM-Checks und den üblichen Zyklen zum Aufwärmen an. Perry warf einen Blick auf die Wanduhr, die so hoch angebracht war, dass jeder sie von seinem Arbeitsbereich aus sehen konnte. Sie zeigte fünf Minuten vor neun. Wenn die Uhr neun schlug, würde er schon längst arbeiten.
»Ich dachte, diesmal würde ich Sie erwischen«, sagte die Stimme einer Frau hinter ihm. Er machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, während er seine Aktenmappe öffnete und den chaotischen Papierstapel herauszog.
»Fast getroffen und doch daneben, Boss«, sagte Perry und lächelte über ihren kleinen täglichen Scherz. »Vielleicht das nächste Mal.«
»Samir Cansil von Pullman hat angerufen«, sagte die Frau. »Die haben wieder Schwierigkeiten mit ihrem Netz. Rufen Sie sie als Erstes zurück.«
»Ja, Ma’am«, sagte Perry.
Sandy Rodriguez überließ Perry seiner Arbeit. Die meisten Serviceangestellten bei ACS kamen ein paar Minuten zu spät, aber Perry war immer pünktlich. Sandy sprach die Verspätungen ihrer Mitarbeiter nur selten an. Jeder wusste, dass es ihr eigentlich nichts ausmachte, solange die Leute dieses Privileg nicht ausnutzten und ihre Arbeit erledigten. Doch obwohl sie sich kaum darum kümmerte, kam Perry nie zu spät.
Sie hatte ihm eine Chance gegeben, als er keine Arbeit, keine Referenzen und zu allem Überfluss eine Vorstrafe wegen Körperverletzung gehabt hatte. Und nicht wegen irgendeiner
Körperverletzung. Er hatte seinen früheren Boss tätlich angegriffen. Nach diesem Zwischenfall war er davon überzeugt, dass ihm nie wieder irgendjemand eine bessere Arbeit geben würde. Doch Bill Miller, sein Mitbewohner aus Collegezeiten, hatte bei ACS ein gutes Wort für ihn eingelegt und Sandy hatte sich bereit erklärt, einen Versuch mit Perry zu machen.
Als sie ihn eingestellt hatte, hatte er sich geschworen, dass er sie niemals und unter keinen Umständen im Stich lassen würde. Dazu gehörte auch, dass er jeden Tag so früh kam. Wie sein Vater immer gesagt hatte: Es gibt keinen Ersatz für harte Arbeit. Er schob die unwillkommene Erinnerung an seinen Vater beiseite. Er wollte den Tag nicht schlecht gelaunt beginnen.
Volle zwanzig Minuten später hörte Perry das typische Geräusch, mit dem Bill Miller den Arbeitsbereich direkt neben ihm betrat. Wie üblich war Bill zu spät, und wie üblich kümmerte er sich nicht im Geringsten darum.
»Guten Morgen, Schlappschwanz«, sagte Bill. Die in schleppendem Tonfall ausgesprochenen Worte klangen über die einen Meter fünfzig hohen Stellwände hinweg. »Hat mein Ärmster gut geschlafen?«
»Weißt du, Bill, ich glaube, ich bin schon ein wenig über das Ich-habe-mehr-getrunken-als-du-Stadium hinaus. Und ich bilde mir gerne ein, dass auch du irgendwann erwachsen wirst.«
»Ja, da hast du wahrscheinlich
Weitere Kostenlose Bücher