Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)
Residenz ist, bedeutet, dass kein Abstand möglich ist, stattdessen eine Nähe herrscht, die Frisch immer wieder an die Grenze zur Selbstaufgabe bringt.
Ein Lichtblick ist die Freundschaft zu Uwe Johnson. Am 9. März 1962 kommt es zu einem ersten Besuch des Ehepaars Johnson in der Via de Notaris. Johnson ist ein aus der Distanz heraus sensibler Mann, er stellt eine große Nähe her, ohne dass das jeder merkt, er siezt Menschen, auch wenn die ihn schon lange duzen. Für ihn sind Ingeborg Bachmann und Max Frisch ein Paar, von dem ein großer Glanz ausgehe 8 , und er meint das überhaupt nicht im Sinn von öffentlichem Glanz. Frischs Tochter Ursula Priess schreibt davon, dass man den beiden ansieht, dass sie sich lieben. Bei Uwe Johnson ist noch mehr gemeint: etwas Glänzendes, beinahe Königliches. Johnson blickt in einen intimen Bereich, ohne das Wahrgenommene auch nur ansatzweise ins Banale zu ziehen. Er sieht in dieser Liebe etwas Kostbares. Aber auch Uwe Johnson ist ein Dichter und also Erfinder.
Einen ganz anderen, entschieden handfesten Eindruck schildert der Rom-Korrespondent Gustav René Hocke 9 . Er sei eingeladen gewesen in Rom in der Via de Notaris, sei pünktlich erschienen, habe aber bloß Frisch angetroffen. Bachmann sei eine Stunde später dazugekommen, und man habe ein verkochtes Essen zu sich genommen, dafür aber umso mehr getrunken. Frisch habe dann spät nachts darauf bestanden, ihn, Hocke, nach Hause zu fahren. Unterwegs sei Frisch auf eine Pinienwurzel aufgefahren, und sein wunderschönes Fiat Cabrio habe einer Ziehharmonika geglichen. Allerdings muss konstatiert werden: Hocke scheint diesen Unfall zu genießen, beziehungsweise er scheint es Frisch zu gönnen, einen derartig dämlichen Unfall verursacht zu haben. Hocke ist eifersüchtig auf Frisch, der Ingeborg Bachmann bekommen hat, was ihm selbst vor Jahren misslungen ist. 1953 machte er die Bekanntschaft Bachmanns, war hinter ihr her, auch sie sei ihm gewogen gewesen, aber aus Rücksicht auf seine Ehe habe man verzichtet auf eine Intensivierung der Beziehung.
Verschiedene Facetten, verschiedene Blickwinkel auf ein Paar. Der Glanz der Liebe und das tägliche Einerlei. Wie Max Frisch leidet auch Ingeborg Bachmann zunehmend unter dieser erzwungenen Nähe, unter Frischs chronisch lauernder Eifersucht. Auf wen, wer weiß, es gibt bloß Gerüchte. Bachmann soll sich gern kurzzeitigen Affären hingeben, man munkelt im engeren und weiteren Bekanntenkreis von ihrer Vorliebe für besonders männliche Männer, zum Beispiel für Matrosen. 10 Und Frisch, dem selbst seine Freunde Seitensprünge nachsagen, gibt zu, dass selbst dann, wenn er zu einer anderen Frau gehe, sich nichts ändere an seiner Liebe zu Bachmann. Trotzdem ist da Eifersucht auf beiden Seiten.
Dass das Kunstwerk Liebe, von dem Ingeborg Bachmann träumt, auf ein Misslingen hinausläuft, wird spürbar. Von Monat zu Monat, Woche zu Woche, manchmal von einer Stunde auf die andere gestaltet sich das Zusammenleben schwieriger, tun sich mehr Risse auf in diesem so sensiblen Gewebe.
Max Frisch verliert fast sich selbst, und vor allem ist er nahe dran, den Bezug zur Welt zu verlieren. Manchmal, und wenn er ehrlich ist eigentlich sogar ziemlich oft, hilft nur das Saufen. Frisch beginnt schon sehr bald die Geschichte zu diesen Erfahrungen mit Bachmann zu suchen, oder jedenfalls wenigstens eine Geschichte. Er ahnt, dass er niemals wird in eine rettende Distanz zu dieser Liebesgeschichte treten können. In Rom zappelt er noch an den Fäden, die ein unbekannter Regisseur in der Hand hat, weiß nicht ein noch aus und gibt dennoch nach außen den Souveränen.
Das Einzige, was einen am Morgen nach einem jähen und wehrlosen Erwachen vor dem Schrecken bewahre, was einen in dem Labyrinthischen des Lebens Zeichen und Wegweiser finden lasse, sei das Schreiben. Mehr denn je wird die rettende Funktion der Arbeit in Frischs Leben sichtbar. Frisch vergleicht das Schreiben mit dem Faden der Ariadne. Da ist sie wieder: die Verbindung zwischen den beiden Schriftstellern, denn wer außer Ingeborg Bachmann könnte solche Sätze unterschreiben? Ihr Freund Henze ermahnt sie immer und immer wieder, doch zu arbeiten, vor allem wenn es ihr schlecht gehe. Sich einfach hinzusetzen und zu beginnen mit einer neuen Arbeit oder fortzufahren mit einer alten. Außerhalb der Arbeit, im Alltag, sind Bachmann und Frisch wehrlos, umschleichen einander, neugierig, misstrauisch, zärtlich suchend, eifersüchtig lauernd. Nicht
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