Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)
über Literatur zu führen und in der man einen Handkuss bekommt dafür, dass man eine Leseratte ist. Der ganze sogenannte praktische Weltbezug, er beginnt für Bachmann, wenn überhaupt, viel später als für Frisch. Die Wörterwelt ist und bleibt ihre erste Heimat. Wörter lernen und erfahren, wie alte Wörter durch neue ersetzt werden. Sich die Augen nachts wund lesen. Selbst der Faschismus und der Einbruch des Kriegs werden vor allem über die Sprache erfahrbar.
Auch die erste Liebe ist eine Liebe aus Sprache. »Die Kinder sind verliebt und wissen nicht, in wen. Sie kauderwelschen, spintisieren sich in eine unbestimmbare Blässe, und wenn sie nicht mehr weiterwissen, erfinden sie eine Sprache, die sie toll macht. Mein Fisch. Meine Angel. Mein Fuchs. Meine Falle. Mein Feuer. Du mein Wasser. Du meine Welle. Meine Erdung.« 6 Kein Ding steht in dieser ersten unbestimmten Verliebtheit mehr für sich, alles verwandelt sich in ein Du und Ich. Dieser erste Liebesdialog ist eigentlich ein langer Monolog, und der kindliche Liebeskosmos, der evoziert wird, existiert vor allem in der Sprache.
Wenn der Junge Max Frisch hingegen auf dem Fußboden seines Zimmers in der elterlichen Wohnung lag und abends im Reclamheftchen las, dem Stück nachsinnend, das gerade zu dieser Stunde im Schauspielhaus aufgeführt wurde, träumte auch er sich weg in eine Wörterwelt, aber was er suchte, waren nicht die Wörter, sondern war die Welt, die sich in dieser Theatersprache ausdrückt. Ihn faszinieren die Geschichten, die Dramen zwischen den Personen. Inhaltliches interessiert ihn, und die handelnden Menschen beflügeln seine Phantasie. Er überlegt sich, ob ein Stück vielleicht anders ausgehen könnte als an dem Abend, an dem er es zum ersten Mal auf der Bühne gesehen hat. Für Frisch ist die Sprache in den Theaterstücken eine Möglichkeit, sich den Menschen auf eine andere, neue, nicht alltägliche Weise zu nähern. Bachmanns Beschäftigung mit der Sprache ist vor allem in der Jugend monologisch und führt eher weg von den Menschen als zu ihnen hin. Max Frisch erlebt zu wenig Aufregendes zu Hause, erfahrungssüchtig wie er ist, braucht er die bunte, pralle Welt des Theaters. Auf der Bühne ist alles lebendiger, dynamischer, spannender. Das Theater ist eine Art Ersatz für das nicht gelebte Leben. Wenn der junge Max Frisch eine Farce über die Ehe schreibt, obwohl er noch nie ein Mädchen geküsst hat, dann erbringt er damit den Beweis, dass er mehr will, als er kann, und über den eigenen Erfahrungshorizont hinausdichtet. So lässt sich auch seine frühe Lust am Reisen verstehen. Er muss weg aus der engen Heimatstadt, etwas erleben, Unerwartetes sehen. Er muss lernen, wie Menschen leben, wie sie miteinander umgehen, sich lieben, streiten, sich versöhnen.
Der junge Max Frisch stürzte sich lesend mitten ins Weltgetümmel. Er las Bücher, vor allem Schiller, in denen handelnde Personen dargestellt sind, zwischen denen sich Dramatisches ereignet. Frisch spielt mit Möglichkeiten menschlichen Handelns und mit den Eskapaden des Zufalls. Der junge Frisch hatte eine unbändige Lust auf das Leben, auf Erfahrungen, auf Weite, auf Dramatik, auf die Begegnung mit Menschen. Er lag auf dem Boden seines Zimmers in Zürich und stellte sich vor, wie das aktuell inszenierte Stück sich wohl gerade jetzt auf der Bühne entwickeln mochte, er hatte um sich die Enge eines kleinbürgerlichen Elternhauses, die Enge der Stadt Zürich. Und er erkannte, was Sprache vermag. Dass sie eine Welt erschaffen kann, die voller Leben ist, in der gekämpft wird, geliebt, gehasst, gestritten, getötet. Das faszinierte ihn. Aber ihm reichte es nicht aus, nur zu lesen, sich in Literatur zu vertiefen. Er musste weg von zu Hause, sehen und erleben, was sich da draußen zuträgt, Vergleiche anstellen mit den Geschichten in den Büchern. Die junge Ingeborg Bachmann erlebte früh, wie es ist, wenn die Weltgeschichte mit Macht hereinbricht mitten in eine beschauliche Stadt. Selbst das winterliche Eis auf dem Teich berste, wenn die Bomben kommen, und das Mädchen könne seine Pirouetten auf Schlittschuhen nicht mehr drehen wie zuvor. So Ingeborg Bachmann in Jugend in einer österreichischen Stadt . Da wurde sehr früh eine Sicherheit genommen, und das Wunderbare, das seinen Platz hatte innerhalb der heimatlichen Mauern, sucht Unterschlupf in der Sprache und existiert nirgendwo sonst mehr. So unterstützt der Krieg die Neigung Bachmanns, sich zurückzuziehen in die Literatur,
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