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Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)

Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)

Titel: Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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umsonst kann Frisch, wenn er weiß, dass Besuch kommt, schon eine Stunde vorher nichts mehr machen als warten. Man weiß ja nicht, was da auf einen zukommen wird an Gespräch, an Freundlichkeit oder Feindseligkeit, man muss auf der Hut sein. Und am besten, man bereitet sich darauf vor. Der dünnhäutige Frisch, nirgendwo zeigt er sich offener als in der Beziehung zu Ingeborg Bachmann. Das Buch Mein Name sei Gantenbein legt Zeugnis davon ab, aber es ist keine Autobiografie, und Bachmann kommt als Figur nicht vor. Frisch will die Geschichten, die er sich vorstellt, nicht selbst durchmachen. Immer wieder passiert es, dass er eigentlich all das nicht erleben will, was er mit Bachmann erlebt. Als fände er sich mit ihr zusammen plötzlich in einem Roman vor. Und dann will er es doch. Rennt hinter ihr her, fährt ihr nach, wartet mit dem Auto an Straßenkurven auf die von einer Reise Zurückkehrende, überquert in der Nacht den Gotthard. Und ist das Ich, das dies erlebt. Ein schutzloses Ich, eines, das sich nicht versteckt in einem geheimnisvollen Inneren, sondern eines, das an der Oberfläche des Körpers angesiedelt ist, auf der Oberfläche der Haut, in der Nähe der Nerven. Was macht sie, wenn sie nicht bei ihm ist? Was denkt sie, wenn sie nicht an ihn denkt, und was, wenn sie an ihn denkt? Frisch ist eifersüchtig auf alle möglichen und unmöglichen, auf all die verborgenen Liebhaber, auf Briefeschreiber, denen sie antworten könnte, auf die Wörter, die sie erfindet und bei sich trägt, auf Gespräche, die sie mit anderen führt, auf die Musik, die sie hört, wenn sie schreibt, auf ihre nächtlichen Träume.
    Keine irgendwann zu erzählende Geschichte wird jemals diese Erfahrung einholen, geschweige denn, sie verstehbar machen. Das gilt für beide. Bisher konnte Frisch immer in einen Abstand zu seinen Erlebnissen treten und aus diesem Abstand heraus seine Geschichten schreiben. Diesmal wird es nicht so sein. Dies wird nie eine wie auch immer geartete Vergangenheit sein, sondern bedrängende Gegenwart bis ans Ende seines Lebens.
    Nirgendwo wird es besser sichtbar, klarer lesbar als in Mein Name sei Gantenbein . Während des Zusammenlebens mit Bachmann schreibt Frisch diesen schillernden, vielschichtigen, rätselhaften Roman. Eine Art Bewusstseins-Tagebuch entsteht. Dieser Roman hat mehr Ähnlichkeit mit Frischs Tagebüchern als mit den frühen Prosawerken. Er steht an einer Bruchstelle seiner Arbeit, und das hat mit Bachmann sehr viel zu tun, ohne dass sie in der Figur der Lila porträtiert würde. Frisch lernt im Zusammenleben mit Bachmann sein eigenes Schreiben, den Impuls seines Schreibens, die Arbeit seiner Imagination noch besser kennen, wird heimischer darin.
    Im Gantenbein reflektiert das Ich darüber, wie es wohl weitergehen wird mit der Liebe zwischen Enderlin und Lila. Schlagartig fühlt man sich versetzt in Bachmanns Geschichte von Jan und Jennifer: »Noch seid Ihr die einzige Wirklichkeit weit und breit, die andern Menschen sind Marionetten eurer Laune; noch habt Ihr die Fäden in der Hand, und wer stören würde, tritt in eurem Gespräch einfach nicht auf oder so, dass er nicht stört. Noch seid Ihr sorgsam und sagt: Ein Pole, ein Flüchtling, der seinerzeit bei uns gewohnt hat und der Freund meiner Schwester war. Oder: mein erster Mann.« 11 Ein Paar also, das noch keine Geschichte hat, noch nicht eingebettet ist in eine Geschichte. Sie kennen nur sich, von innen, sie sind sich ein großer Innenraum und gehen auf leisen Sohlen. Aber die Welt fängt bereits an, von ihnen zu wissen, Namen werden genannt, und plötzlich gehören sie zu einer großen Familie, in der jeder auf den anderen achtet. Das Ende ist vorgezeichnet, sobald klar wird, dass die anderen Bescheid wissen. Sobald der Platz innerhalb der Ordnung wieder eingenommen wird. In Frischs Roman findet sich der gleiche Ton, wie er in Bachmanns Hörspiel herrscht. Die gleiche Atmosphäre.
    Eines der Grundworte in Leben und Schreiben Frischs und Bachmanns bringt die beiden Elemente erneut in eine prickelnde Nähe zueinander: Utopie. Für Bachmann wird vor allem auch im produktiven Lesen das Utopische der Literatur erlebbar. »So ist die Literatur, obwohl und sogar weil sie immer ein Sammelsurium von Vergangenem und Vorgefundenem ist, immer das Erhoffte, das Erwünschte, das wir ausstatten aus dem Vorrat nach unserem Verlangen – so ist sie ein nach vorn geöffnetes Reich von unbekannten Grenzen. Unser Verlangen macht, dass alles, was sich aus Sprache

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