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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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ungeduldigen Ruck aufriss, doch ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf, als sie mich erkannte. »Max!« Sie nahm mich an der Hand, zog mich hinein und schloss die Tür. »Weißt du was? Ich habe heute Nacht von dir geträumt.«
    Ich schaute ihr in die verführerischen Augen. »Ich komme nur auf einen Sprung vorbei. Dein Telefon funktioniert scheinbar nicht.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Peter hat versucht, dich zu erreichen.«Sie hob die Augenbrauen. »Hat er dich etwa angerufen?«
    »Er geht noch mit seinem Herausgeber in Amsterdam essen und hat morgen früh gleich wieder einen Termin. Du kannst ihn später im Hotel erreichen.«
    »Mist!«, rief sie laut. »Der hat vielleicht Nerven.« Sie drehte sich um und ging zur Küchentür.
    »Ich kann nicht bleiben«, sagte ich.
    Enttäuscht wandte sie sich um. »Hier verkocht gerade ein wunderbares Abendessen für zwei Personen.«
    »Ich habe schon gegessen. Ich muss wirklich gehen, ich habe noch einen Haufen Arbeit.«
    Sie zog einen Schmollmund. Wir wussten beide, dass es hier nicht um Abendessen oder Arbeit ging, aber ich konnte sie kaum noch anschauen, ohne dabei Peters sklavisch anbetende Augen zu sehen. Schließlich beendete sie unseren wortlosen Dialog, indem sie verstimmt mit den Achseln zuckte. »Dann schau doch bitte wenigstens mal nach dem Telefon.«
    »Wo ist es denn?«
    »Auf Peters Schreibtisch.« Sie öffnete die Tür, die zum Treppenpodest oberhalb des Wohnzimmers führte, und schaltete das Licht ein. »Du kennst ja den Weg.« Dann fügte sie hinzu: »Ich muss mal kurz nach oben«, und verschwand über die breite Holztreppe.
    Ich durchquerte den luxuriösen Wohnraum und kam an dem offenen Kamin vorbei, an den ich nur ein brennendes Streichholz hätte halten müssen, um mir einen romantischen Abend zu machen. Doch ich dachte an den weisen Rat meines Vaters, der mich bereits vor einem Vierteljahrhundert vor Theater im eigenen Nest gewarnt hatte, worunter Affären an unserem Deich garantiert fielen.
    Bei dem Telefon handelte es sich um ein solides Telecomgerät. Ich nahm den Hörer ab, doch die Leitung war tot. Ich folgte dem Kabel und sah, dass der Stecker herausgezogen war. Ich schloss das Telefon wieder an, unterdrückte meinen angeborenen Trieb, in den Papieren anderer Leute herumzuschnüffeln, und kehrte in den Eingangsflur zurück.
    Ingrid kam mit einer Reisetasche hinunter.
    »Der Stecker war herausgezogen.«
    »Mist«, sagte Ingrid. »Das macht er oft, wenn ihn die Inspiration überkommt. Er hat heute Morgen gearbeitet.«
    Ich nickte einfach nur und ging ihr voraus zur Tür. »Na dann, bis bald«, begann ich, aber sie folgte mir nach draußen, und als sie die Tür abschloss, kam mir schon der unangenehme Gedanke, in der Tasche seien womöglich Toilettensachen und Unterwäsche und sie habe vor, mir nach Hause zu folgen. Zu meiner Erleichterung ging sie zielstrebig hinüber zur Garage und zog eines der Rolltore hoch, hinter dem ein roter Honda stand.
    »Ich nutze die Gelegenheit.« Sie wirkte ein bisschen nervös.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Ich habe keine Lust, alleine zu Hause zu hocken, ich fahre zu Sigrid. In Tiel gibt es gemütliche Kneipen. Ich übernachte bei ihr. Wärst du so nett und würdest das Tor hinter mir zumachen?« Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und gab mir einen Kuss. »Schwamm drüber.«
    »Trink nur nicht zu viel.«
    »Ach was.« Sie warf ihre Tasche hinten in den Honda hinein. »Ich muss morgen Früh um acht Uhr zu Hause sein, ich habe versprochen, auf Tommy aufzupassen. Jennifer hat um zehn Uhr irgendeine Verabredung in Amsterdam.«
    Ingrid lächelte mir zu, stieg in den Honda und fuhr ihn aus der Garage heraus. Ich zog das Rolltor für sie zu und schaute ihr nach, als sie ziemlich schnell über den Deich davonfuhr. Zwölf Stunden später hämmerte sie aufgeregt an mein Küchenfenster. »Max, Max! Komm schnell!«
    Ich ließ die Zeitung auf den Frühstückstisch fallen und rannte quer durch das Haus zur Hintertür. »Was ist denn los?«
    »Ich höre Tommy weinen, aber Jennifer macht nicht auf …« Schon lief Ingrid los, und ich folgte ihr um die Hecke herum zu Jennys Vordereingang. Ich hörte das Kind weinen; es schien von oben zu kommen. Ich schob Ingrid beiseite, probierte, ob sich die Tür öffnen ließ, und schaute durch die kleinen Scheiben hinein. »Hast du keinen Schlüssel?«
    »Nein. Vielleicht …«
    »Warte mal kurz.« Ich lief um den Heuschober herum. Ingrid folgte mir, als habe sie Angst, alleine zu bleiben.

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