Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
Vom Netzwerk:
verschaffen würden, ich versuchte, den Umschlag vorsichtig an der Klebkante aufzuziehen, aber der Leim war gut und Risse blieben nicht aus. Im Umschlag steckte ein zusammengefaltetes Din-A-4-Blatt mit ein paar kräftigen Zeilen in derselben Handschrift wie die Adresse auf der Vorderseite.
    »Jen, ist dein Telefon kaputt? Ist das eine neue Form der Unabhängigkeit, oder muss ich mir Sorgen um dich machen? Ich habe keine Zeit mehr, deshalb nur ein paar Zeilen, um dir zu sagen, dass es mir gut geht und ich dich nicht vergessen habe. Ich bin eben praktisch nie zu Hause, und das macht die Sache nicht gerade einfach, aber ich halte die Augen für dich offen und ziehe Erkundigungen ein. Okay? Mehr kann ich nicht tun. Halt die Ohren steif, mit der Zeit wird schon alles in Ordnung kommen. Jeroen.«
     
    Ich gab Ingrid den kurzen Brief. »Vielleicht ist das der Vater.«
    Ich achtete auf ihren Gesichtsausdruck, während sie las. Ich sah kein Zeichen des Wiedererkennens. Fragend hob sie den Blick. »Dieser Mann hat versprochen, irgendetwas für sie zu tun, aber was?«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich. »Außer, dass rein gar nichts in Ordnung gekommen ist.«
    Mit ernstem Gesicht schaute Ingrid hinüber zum Heuschober. »Meinst du, dass das irgendetwas mit dem Mord zu tun hat?«
    Ein Mann in einem Pontiac mit Chauffeur hatte eine Juffrouw Kramer gesucht. Der Vater des Kindes? Ihr Exmann? War van Maurik Jennifers Mädchenname und hatte sie ihn wieder angenommen, um sich vor ihrem Ex zu verstecken? Eine neue Form der Unabhängigkeit? Doch der Mann im Pontiac konnte nicht Jeroen Kramer gewesen sein, denn der kannte Jennifers Adresse und offenbar auch ihre Telefonnummer. »Was meinst du?«
    Sie presste die Lippen zusammen. »Ich meine, sie sollten Bokhof mal auf den Zahn fühlen.«
    Ich zuckte mit den Achseln und steckte den Brief zurück in den Umschlag.
    »Du willst ihn doch nicht etwa wieder in den Briefkasten legen?«, fragte Ingrid.
    Ich steckte den Umschlag in die Tasche. »Nein. Erstmal werde ich mir diesen Jeroen anschauen. War Jennifer früher mal verheiratet?«
    Ingrid dachte nach. »Merkwürdig«, sagte sie nach einer Weile. »Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Erst jetzt wird mir klar, dass ich eigentlich nichts über Jennifers Vergangenheit weiß.«

 

4
     
    Amstelveen war kein Ort, der einen fröhlich stimmte, jedenfalls nicht, wenn man ungeduldig auf der verlassenen Außengalerie im dritten Stock eines Betonmietshauses herumstand und wartete. Ich hatte die Telefonnummer von Jeroen Kramer im Telefonbuch gefunden und versucht, ihn auf diesem Wege zu erreichen. Nachdem ich dreimal an seiner Wohnungstür geschellt hatte, war klar, dass deswegen niemand ans Telefon ging, weil keiner zu Hause war. Vielleicht hätte ich mir die Fahrt hierher ersparen können, aber Kramer war mein einziger Anhaltspunkt.
    Das Namensschild J. Kramer machte mich auch nicht schlauer. Die meisten Fenster an der Galerie waren durch Gardinen oder Rollläden vor neugierigen Blicken geschützt; vor dem von Kramer hing eine Jalousie. Ich presste mein Gesicht an die Scheibe und erkannte durch den schmalen Spalt an der Seite ein Stückchen von einer Schranktür und einer Anrichte. Die Küche.
    Ich ging zur Wohnung nebenan und schellte. J. Steffens. Es dauerte lange, bis jemand an die Tür kam. Ich hörte ein Auto und lehnte mich über das Geländer. Mich überkam das beklemmende Gefühl, dass die Polizei mir dicht auf den Fersen war, doch es war nur ein Lieferwagen. Zwei Männer begannen mit dem Ausladen einer Waschmaschine.
    Ein Zigarrenraucher in einem Pontiac war am Abend vor dem Mord auf der Suche nach einer Juffrouw Kramer gewesen. Ich hatte keinen Zusammenhang mit Jennifer van Maurik gesehen, bis die Post diesen Brief gebracht hatte. Zweimal der Name Kramer, einmal kurz vor und einmal kurz nach ihrem Tod – so viel Zufall brachte meine Nackenhaare zum Kribbeln.
    Was Juffrouw Kramer betraf, konnte ich wenig mehr tun, als das Einwohnermeldeamt anzurufen. Kramer war ein häufig vorkommender Name, doch weder am Polderdeich noch am Lingedeich oder irgendeinem anderen Deich in den angrenzenden Dörfern war jemand mit diesem Namen registriert.
    Von dem anderen Kramer gab es jedoch eine Adresse. Er hätte Jennifers Exmann sein können, war aber auf jeden Fall die einzige Verbindung zu etwaigen anderen Angehörigen. Die Tatsache, dass ich mich an seine Spuren heftete, ohne die Polizei über seinen Brief zu informieren, lief auf die

Weitere Kostenlose Bücher