Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
Vom Netzwerk:
anderen Ende der Bar auf uns zu. Sie hatte ein schmales Gesicht, rabenschwarzes Haar, und ihr geschwungener Schmollmund verhieß gefügige Unschuld und eine gewisse Naivität – vor Jahrzehnten hatte ihr Bildnis an der Wand meiner Junggesellenwohnung gehangen: der Akt des nackten Mädchens von Louis David.
    »Mirjam …«
    »Alle warten schon auf dich.« Die Stewardess blieb neben uns stehen und lächelte mich abwartend an.
    Jeroen sagte mit einer matten Handbewegung: »Das ist Mirjam Senner, meine Freundin.«
    Ich gab ihr die Hand. »Max Winter.«
    Mirjam blickte von mir zu Jeroen. »Ist irgendwas?« »Meine Schwester ist tot.«
    Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. »Jennifer? Ach …«
    »Ich kann nicht mit nach Rio, ich muss …« Jeroen schaute mich an. »Wohin muss ich mich wenden?«
    Mirjam sagte: »Wenn jemand für dich einspringen muss, solltest du dich aber beeilen!«
    »Am besten an die Polizeidienststelle Geldermalsen. Fragen Sie nach Brigadier Kemming«, sagte ich gleichzeitig.
    Ich sah, wie Mirjam erschrak. »Zur Polizei?«
    »Jennifer ist ermordet worden«, erklärte Jeroen.
    »O mein Gott.« Mirjam schaute Jeroen erschrocken an. »Hat sie nicht einen kleinen Sohn?«
    »Tommy ist bei Nachbarn untergebracht«, sagte ich. »Dort kann er eine Weile bleiben, bis seine Verwandten eine Entscheidung getroffen haben.«
    Sie nahm eine abwehrende Haltung ein. »Jeroen ist sein einziger Verwandter. Soll er den Kleinen vielleicht großziehen?«
    Jeroen beruhigte sie. »Jetzt lass uns doch erst mal …«
    »Ich glaube, ich bleibe auch hier«, sagte Mirjam. »Das alles ist nicht leicht für dich, und ich möchte verhindern, dass du etwas versprichst, was wir nicht halten können.«
    Sie war weniger unschuldig und garantiert nicht so gefügig wie die Nudo di Giovannetta. Wieder einmal trog der Augenschein. »Die Nachbarn würden ihn sehr gerne adoptieren«, sagte ich.
    Sie atmete auf. »Ist das eine langwierige Angelegenheit?«
    »Du fliegst einfach mit wie geplant«, sagte Jeroen, plötzlich entschlussfreudig. »Ich komme schon allein zurecht.« Er legte Mirjam den Arm um die Schulter und wandte sich an mich. »Vielen Dank, dass Sie mich aufgesucht und es mir gesagt haben. Ich melde mich noch heute in Geldermalsen.«
    »Ich hätte da noch einige Fragen.«
    »Ich muss mich jetzt wirklich abmelden, sonst findet die Fluggesellschaft nicht rechtzeitig Ersatz für mich. Ich sehe Sie dann draußen in Rumpt, ich muss doch bestimmt auch ihre Sachen … und die Beerdigung …«
    »Sie finden mich im Nachbarhaus«, sagte ich.
    Brigadier Marcus Kemming fand mich vor ihm. Er kam auf meine Terrasse hinauf und klopfte an die Glasscheibe, als ich CyberNel gerade am Telefon bat, herauszufinden, ob Jennifer Kramer irgendwo registriert oder vielleicht vorbestraft war.
    Ich gab ihr rasch Jennifers Geburtsdaten durch und sagte nur: »Ich muss auflegen.« Ich winkte Kemming zu, der seinen mageren Vogelkopf dicht der Scheibe näherte, um hineinschauen zu können. Er sah mich und griff nach dem Türknauf. Er war allein.
    CyberNel protestierte: »Aber ich brauche noch weitere Angaben!«
    »Ich kann aber schlecht über das Reinhacken in Polizeicomputer reden, wenn die Polizei gerade zur Tür reinkommt«, flüsterte ich. »Tag, Brigadier, treten Sie näher!«
    CyberNel kicherte und legte auf.
    Kemming trat zögernd ein. »Der Bruder von Juffrouw van Maurik hat sich bei uns gemeldet, auf Ihr Anraten hin, wie es scheint.«
    »Das ging ja schnell. Kaffee, Tee, oder ein Glas Sherry? Jetzt ist die richtige Zeit für einen Aperitif, oder sind Sie noch im Dienst?«
    Seine stechenden Augen wanderten unsicher hin und her. »Nein, ich habe jetzt frei und ich dachte, ich fahre noch mal kurz bei Ihnen vorbei. Wir essen meistens so gegen sieben.« Er schaute auf die Uhr. Offenbar fühlte er sich nicht besonders wohl in seiner Haut. »Ich bin kein Sherrytrinker, für mich lieber ein Pils, wenn Sie eins im Haus haben.«
    »In Ordnung. Lassen Sie uns raus auf die Terrasse gehen, es ist zu schade, bei diesem Wetter drinnen zu sitzen. Ich komme sofort.« Ich bedeutete ihm, schon hinauszugehen und verschwand in der Küche, um für ihn ein Pils und für mich einen kleinen Scotch mit viel Eis zu holen.
    Die Sonne stand tief über den Obstplantagen. Mein Garten, etwa vierzig Meter tief, wurde von einem romantischen Wassergraben begrenzt, an dem auf der einen Seite dichtes Schilf, gelbe Iris und knorzige Weiden wuchsen und auf der anderen hohe, vom Wind gebeugte

Weitere Kostenlose Bücher