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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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    Th.
     
    »Meinst du, das ist der Vater des Jungen?«, fragte Jeroen.
    Ich schaute den Brief an. Wenn er von einem Vater stammte, dann von einem, der in Ruhe gelassen werden wollte. »Wann wurde Tommy geboren?«
    Er wusste es nicht genau. »Auf jeden Fall nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes.«
    »Sie hat ihn gebeten, Gegenvormund zu werden. Soweit ich mich erinnere, hatte das in der Tat nicht viel zu bedeuten, aber es war die Rolle, die dem leiblichen Vater zufiel, selbst wenn er das Kind nicht offiziell anerkannte. Vielleicht hoffte sie auf eine Art Anerkennung über diesen Umweg.«
    »Nicht gerade ein netter Brief«, bemerkte Jeroen.
    »Stimmt.« Ich versuchte, mir Jennifer vorzustellen, wie sie vor drei Jahren gewesen sein musste, eine Straßenratte in Amsterdam, Autodiebstahl, Gefängnis, das ZKA, über dessen Rolle ich so meine Vermutungen hatte, und schließlich schwanger. »Warum hat sie das Kind behalten?«
    »Vielleicht war anfangs noch alles in Butter.« Jeroen schwieg und machte wieder ein schuldbewusstes Gesicht, und mir wurde klar, dass er noch nicht einmal gewusst hatte, dass seine Schwester schwanger war, geschweige denn, dass er sich darum gekümmert oder ihr geholfen hätte. Meines Bruders Hüter. »Was willst du jetzt machen?«, fragte er nach einer Weile.
    »Den Vater suchen. Darf ich den Brief so lange behalten?«
    »Natürlich.« Er runzelte die Stirn. »Sollte man die Polizei nicht darüber informieren?«
    »Ich würde damit warten, bis wir wissen, wer dieser Th. ist und worin seine anderen Interessen bestehen. Man kann viel unnötigen Schaden anrichten, wenn man wie ein wilder Stier auf so was losgeht. Überlass mir bitte auch ihren Pass für eine Weile.« Jeroen schaute mich unsicher an, und ich sagte: »Jennifer war eine nette junge Frau. Ich habe kein Interesse daran, ihren Ruf zu schädigen oder Dinge aus ihrer Vergangenheit ans Licht zu zerren, die nichts mit ihrem Tod zu tun haben.«
    Er nickte, froh, dass ich ihm die Entscheidung abnahm. »Ich weiß nicht, was ich hier noch soll«, sagte er. »Die paar Möbel und ihre Kleidung kann meinetwegen die Heilsarmee abholen. Nur dieser Sekretär – meinst du, Ingrid will ihn für Tommy aufbewahren?«
    Ich sagte nichts, war aber überzeugt davon, dass Ingrid Tommy ganz rein, nackt und neugeboren wollte, ohne Erinnerungen an seine Vergangenheit – weder Kleidungsstücke noch einen alten Sekretär, und auch keinen Onkel, der ihn daran erinnern konnte, dass seine Mutter eigentlich Jennifer Kramer geheißen hatte.

 

6
     
     
    »Du hast schon etwas von einem Landei an dir«, sagte CyberNel, als ich sie ein Stück von mir weghielt.
    Ich freute mich, sie zu sehen – daran würde sich niemals etwas ändern. Mir wurde klar, dass ich sie vermisst hatte. »Meinst du den Mistgeruch?«
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schnupperte an meinem Hals. »Du riechst eigentlich ganz gut, vielleicht liegt es auch nur an deinen Augen.«
    Ich hatte Lust, eine Weile lang in der warmen Fröhlichkeit CyberNels zu ertrinken, die in einer kleinen, aber gesunden Größe achtunddreißig wohnte, Sommersprossen um die Nase und grüne Funkelaugen hatte und noch immer dieselbe savannenblonde Schrubberfrisur trug.
    Dennoch hatte sie sich irgendwie verändert. Sie hatte etwas Vorsichtiges an sich, das früher nicht da war. Die Verwüstung ihrer Dachwohnung hatte mehr Schaden in ihr hinterlassen als die gesamte, vor vier Jahren gescheiterte Ehe mit einem ungehobelten Kerl von einem Verkehrspolizisten. Die Dachwohnung war ihr Lebenswerk gewesen, der Gatte nur ein Passant.
    »Vielleicht sind es auch deine Augen«, sagte ich. »Vielleicht sehen sie mich anders.«
    »Ich bin nicht in ein Dorf gezogen.«
    »Stimmt.« Ich schaute mich in ihrer neuen Wohnung um. »Sieht ja aus wie in einem Gerichtsvollzieherbüro«, sagte ich neckend. »Sind die Sekretärinnen in der Mittagspause?«
    Sie trat mir gegen den Knöchel und zeigte mir alles. Sie hatte für den größten Raum Schränke, Konsolen und eine Werkbank schreinern lassen, und schon standen überall Computer und ähnliche Geräte herum. Außer dem weißen Flügel war alles neu, der ganze Laden roch nach Elektronik, Kugelblitzen und frisch ausgepackten Büromöbeln.
    »Ein Mensch muss wachsen.« Der Gedanke heiterte Nel auf. »Ich habe sogar ein Gästezimmer, und ein Wohnzimmer mit Blick auf das Herz von Amsterdam. Bleibst du über Nacht?«
    »Über Nacht?«
    »Du hast doch keine andere

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