Ingrid
Übernachtungsmöglichkeit in Amsterdam, oder?«
»Nein, natürlich nicht.«
Ich hatte nicht daran gedacht, dass meine Partnerin Nel Polizeierfahrung hatte, einen gesunden Menschenverstand und mehr Grips, als mir manchmal lieb war.
»Wie steht es mit deinem Liebesleben?«, fragte ich, während sie im Wohnzimmer Kaffee kochte. Vom Fenster aus blickte man auf enge Straßen und Gässchen, zwischen denen ein chaotisches Durcheinander von Zäunen, Abfall, Taubenschlägen, Kabinentaxen und allen erdenklichen Formen menschlichen Wirkens herrschte. Die Einrichtung des Raums bestand aus einer Mischung von Antiquitäten und Nouveau-Heilsarmee-Stil, da CyberNel ihr ganzes Geld für Elektronik ausgab.
Nel drückte auf den Knopf der Kaffeemaschine und drehte sich um. »Hat deine Frage etwas mit dem Gästezimmer zu tun?«
»Nein.« Natürlich hatte sie etwas damit zu tun. Meine vernünftige und die gesamte Menschheit liebende Hälfte wünschte sich, dass Nel endlich einen guten, festen und treuen Freund fand. Die weniger noble Hälfte war sich da manchmal nicht so sicher.
»Ich habe eine Website für einen Architekten entworfen, einen älteren Mann, mit ihm bin ich im Concertgebouw gewesen.«
»Wow. Musik?«
»Schließlich habe ich ja jetzt auch einen Flügel.« Sie lachte. »Damiaan meint allerdings, er passe besser in ein Bordell.«
»Hat er darauf gespielt? Der ältere Architekt, meine ich, oder spielt er nicht Klavier?«
Nel schien ein wenig gekränkt. »Damiaan und ich sind Freunde, okay? Ich treffe mich ab und zu mit ihm, mehr nicht.«
»Okay«, sagte ich, »jetzt sei nicht gleich sauer. Aber er kam aufs Tapet, als ich dich auf dein Liebesleben ansprach.«
»Mein Privatleben ist das, was das Wort schon besagt.« CyberNel ging gereizt hinüber zur Kaffeemaschine. Sie nahm ein Glas, stellte es mit einem Knall wieder zurück und wandte sich wieder mir zu: »Max, du gehst mir auf die Nerven. Ich habe im Augenblick niemanden und ich will auch keinen. Mir steht der Sinn einfach nicht danach. Im Moment kümmere ich mich ausschließlich um das Ganze hier. Und dabei bleibt’s auch erst mal. Ich hätte nicht gedacht, dass es dir mal verdächtig vorkommen würde, wenn eine Frau von sechsunddreißig Jahren alleine lebt.«
Ich lachte. »Allein lebende Frauen von sechsunddreißig Jahren sind meine Lieblingsverdächtigen!«
Wir erschraken, als es an der Tür klingelte. CyberNel schaute auf die Wanduhr. »Mist, da ist er ja schon.«
»Damiaan?«
Sie warf mir einen mordlüsternen Blick zu. »Brigadier Guus Palmer, Leitstelle: Führungs- und Lagedienst, er betreut Informanten. Ich wollte es dir sagen …« Sie ging an die Tür. »Schenk schon mal Kaffee ein.«
Die aschblonde, marmorbleiche Gestalt, die Nel hereinließ, sah aus, als könne sie eine Woche lang in einem Hauseingang stehen, ohne von ihren eigenen Informanten, geschweige denn der Nachbarschaft bemerkt zu werden. Palmer reichte mir flüchtig die Hand. Als er sich in einen von Nels gebrechlichen Lehnstühlen setzte, verschmolz sein unauffälliger grauer Anzug mit der Farbe des Bezugs. Man musste schon genau hinschauen, um zu sehen, dass er eine Brille trug – dünne Gläser in einem unauffälligen Drahtgestell. Sein konturloses Äußeres kam ihm in seinem Beruf natürlich entgegen, und wahrscheinlich pflegte er es sogar sorgfältig. Ich schätzte ihn auf Anfang vierzig.
»Sogar einige Kollegen von meiner früheren Dienststelle reden nicht mehr mit mir«, bemerkte ich, als er mich eine Zeit lang ausdruckslos angestarrt hatte.
Palmer hatte eine helle, etwas nasale Stimme. »Auf jeden Fall habe ich vorher kurz mit deinem Expartner Bart Simons telefoniert.«
»Ich wollte dir das gerade erklären«, sagte CyberNel. »Ich habe nämlich herausgefunden, dass Jennifer Kramers Akte beim ZKA gelandet war und kam auf dieselbe Idee wie du. Deswegen habe ich Bart angerufen. Er kennt die Leute, die die Informanten betreuen.«
Guus Palmer wandte sein beilförmiges Gesicht von mir zu Nel und sagte: »Vielleicht weiß er nicht, wie das heutzutage funktioniert.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe mir jedenfalls gedacht, dass Jennifer Kramer für euch als Informantin gearbeitet hat, aber sie war doch nur eine kleine Autodiebin? Hast du sie betreut?«
»Ja, zusammen mit Ferdie Muller. Sie arbeitete für eine Organisation, die mit der russischen Mafia kooperierte. Jedes Jahr verschwinden Autos im Wert von Hunderttausenden in den Osten, und diese Gruppe war ganz allein
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