Ingrid
hatten wir sie dann richtig an der Angel, und sie musste mit einer hohen Strafe rechnen. Aber sie hatte einen geschickten Rechtsanwalt, Niessen, einer von diesen Yuppies, auch noch ihr gratis Pflichtverteidiger. Es gelang ihm, uns einen Verfahrensfehler nachzuweisen, du weißt ja, wie das läuft.«
Dabei konnte es sich um alles Mögliche handeln, fehlende Beweise, ein schlampiges Protokoll, und in jedem Fall frustrierte es die Ermittler gewaltig. »Aber irgendwie habt ihr sie doch an den Kanthaken gekriegt.«
»Ja, weil die Kripo dahinter kam, an wen sie lieferte. Sie glaubte, sie würde quasi freiberuflich für eine kleine Organisation von drei oder vier Mann arbeiten, du kennst das ja: der Dieb, der Beschaffer der falschen Papiere, der Mann, der einen Schrotthandel oder eine Werkstatt betreibt, und der Monteur, der das gestohlene Auto mit der Fahrzeugnummer eines verschrotteten Autos gleichen Typs versieht. Doch wie sich herausstellte, lieferte Jennifer an Richard Schauker, alias der Dicke, und das war ein großer Fisch, da er mit den Russen zusammenarbeitete.
Deshalb haben sie Jenny wieder geschnappt und ihr mit Hölle und Verdammnis gedroht. Und uns hinzugezogen.«
»Die Leitstelle«, sagte ich.
»Ich erzähle dir das nur, weil sie tot ist, sonst würde ich nie mit aktiven Kollegen darüber reden, geschweige denn mit Leuten, die nichts mehr mit der Polizei zu tun haben.« Palmer betrachtete das Stadtchaos, das sich dem Blick aus Nels Wohnzimmerfenster bot. »Aber wenn es dazu beitragen kann, ihren Mörder zu finden … Es endete jedenfalls so, dass Jennifer sich von unseren schönen Augen und unseren Sicherheits- und Schutzversprechungen überzeugen ließ. ›Ach was, Mädchen, da kann doch gar nichts schief gehen!‹« Wieder wandte er den Blick ab. Es war, als würden die Schuldgefühle aus seiner Seele aufsteigen und um seine Augen herum sichtbar werden. »Sie war gut etabliert, man vertraute ihr rückhaltlos«, sagte er. »Sie wurde in die Organisation aufgenommen, und das war wirklich das reinste Wunder, schließlich war sie eine Frau. Wie ich schon sagte: Frauen sind unüblich in dieser Branche. Aber Jenny wurde zu einer Art Maskottchen, sie hat den Boss sogar nach Moskau begleitet, um den Russen eine Demonstration ihres Könnens zu bieten. Doch dann wurde sie schwanger und wollte aussteigen.«
»Weißt du, wer der Vater ist?«
Palmer schüttelte den Kopf. »Jenny hat nie über ihr Privatleben geredet. Sie wollte das Kind behalten und aussteigen, das war alles. Deshalb mussten wir die Sache beschleunigen, und auch die Soko und die Kriminaltechniker mussten mit dem Abhören und der Verfolgung Druck machen. Aber dank Jennifer hatten wir uns bereits ein Bild von der gesamten Organisation machen können. Sie war wirklich Gold wert.«
»Habt ihr ihr viel bezahlt?«
»Ach, was heißt viel. Sie war nur ein knappes Jahr als Informantin aktiv, sie hat vielleicht fünfzigtausend Gulden dabei verdient. Den Russen konnten wir nichts anhängen, an die kommt man nur schwer ran, es sei denn, man ertappt sie hier auf frischer Tat, aber die gesamte niederländische Führungsspitze kam hinter Gitter, und das war ein schöner Erfolg. Der Boss, seine rechte Hand, der Buchhalter und die meisten der Jungs für die Drecksarbeit.«
»Geriet Jennifer dadurch in Gefahr?«
»Ein Informant kann nur dann gefahrlos aus einer Organisation verschwinden, wenn diese auch verschwindet oder auffliegt.« Palmer dachte nach. Das tat er wahrscheinlich nicht zum ersten Mal seit dem Mord an Jennifer. Der Tod eines Informanten lastet jedem Betreuer auf der Seele und verursacht in ihm Schuldgefühle, die er nicht einfach wegdiskutieren kann. »Man kann keine Organisation ausschließlich aufgrund der Aussagen eines Informanten hochnehmen, daran wirst du dich sicher noch erinnern«, sagte er nach einer Weile. »Also kommen die Kriminaltechniker zum Einsatz, die Mitglieder werden überwacht und abgehört und dergleichen mehr. Da die Ermittler damit aber nicht schnell genug vorankamen, mussten sie Jennifer als anonyme Zeugin vernehmen. Das war ihr einziges Risiko.«
Er verschwieg irgendetwas. CyberNel merkte es auch. »Dieses Risiko kann aber schon ausreichen«, sagte sie. »Die Rechtsanwälte von solchem Gesindel versuchen meistens, dahinter zu kommen, von wem die Aussagen stammen, und selbst wenn sie nur Codenamen kennen, können sie und ihre Mandanten sich manchmal denken, wer dahinter steckt.«
»Die Mandanten haben sowieso ihre
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