Inka Gold
Drittelmeile) entfernt entdeckte er den mächtigen Tempel vor der steilen Felswand. Oben an der endlosen Treppe sah er eine winzige, vornübergebeugte Gestalt, die mit dem Rücken an einem breiten Torbogen lehnte. Pitt zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß die Terroristen ihre Geiseln dorthin gebracht hatten. Der schmale Paß war der einzige Zugang zu dem von steilen Felswänden umgebenen Tal.
Mit jäher Erleichterung wurde ihm klar, daß er keine Angst mehr haben mußte, er könne über die Leichen von Giordino und der Archäologen stolpern. Die Jagd war zu Ende. Jetzt galt es, die Gejagten, die noch keine Ahnung hatten, daß sie gejagt wurden, nach und nach auszuschalten, bis der Rest kein Risiko mehr darstellte.
Durch die eingestürzten Mauern der alten Bauten rund um den Tempel vor Blicken geschützt, schob er sich näher. Geduckt und völlig geräuschlos rannte er von einer Deckung zur nächsten, bis er sich hinter einer großen, phallischen Steinfigur verkriechen konnte. Dort verharrte er und blickte hinauf zum Eingang des Tempels. Die lange Treppe nach oben stellte ein unüberwindliches Hindernis dar. Solange er sich nicht unsichtbar machen konnte, würde er schon auf den ersten Stufen niedergeschossen werden. Jeder Versuch, bei Tageslicht dort hochzugehen, war glatter Selbstmord. Keine Chance, dachte Pitt bitter. Die Treppe zu umgehen, kam nicht in Frage. Die Seitenwände des Tempels waren zu steil und zu glatt, und die Steine waren so nahtlos aneinandergefügt, daß man nicht einmal eine Messerklinge dazwischenschieben konnte.
Doch dann kam ihm die Vorsehung zu Hilfe. Pitt dachte gerade darüber nach, wie er ungesehen die Treppe nehmen könnte, als er bemerkte, daß der Terrorist, der den Tempeleingang bewachte, nach dem langen, erschöpfenden Marsch durch den Bergdschungel fest eingeschlafen war.
Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, robbte Pitt verstohlen auf die Treppe zu.
Tupac Amaru war ein aalglatter, aber gefährlicher Mensch, und genauso sah er auch aus. Der Mann, der den Namen des letzten von den Spaniern gefolterten und ermordeten Inkaherrschers angenommen hatte, war klein, schmalschultrig und hatte ein nichtssagendes, völlig ausdrucksloses braunes Gesicht: Er sah aus, als hätte er nie gelernt, auch nur das geringste Mitgefühl zu zeigen. Im Gegensatz zu den in diesem Bergland lebenden Menschen, deren breite Gesichter zumeist unbehaart waren, trug Amaru einen mächtigen Schnurrbart und lange Koteletten. Seine dichten, glatten Haare waren ebenso schwarz wie seine ausdruckslosen Augen. Wenn er, was selten vorkam, die schmalen, blutleeren Lippen zu einem Lächeln verzog, entblößte er ein makelloses Gebiß, daß jeden Zahnarzt mit Stolz erfüllt hätte. Seine Männer dagegen grinsten oft diabolisch und enthüllten dabei schartige, unregelmäßige Schneidezähne, die vom Kokakauen verfärbt waren.
Amaru hatte das dschungelbewachsene Bergland von Amazonas, einer Provinz im Nordosten Perus, die ohnehin schon unter Armut, Terrorismus, Krankheiten und Korruption litt, mit Tod und Zerstörung überzogen. Seine Bande von Halsabschneidern war für das Verschwinden zahlreicher Forscher, von der Regierung entsandter Archäologen und Militärpatrouillen verantwortlich, die in das Gebiet vorgedrungen und nie wieder aufgetaucht waren. Er war nicht der Revolutionär, für den er sich gerne ausgab. Nichts interessierte Amaru weniger als die Revolution oder die Lebensbedingungen der unvorstellbar armen Indianer im peruanischen Hinterland, die mit knapper Not vom Ertrag ihrer winzigen Anbauflächen lebten. Es waren ganz andere Gründe, die Ama ru dazu bewegten, diese Region zu beherrschen und die abergläubischen Einheimischen zu unterdrücken.
Er stand jetzt in der Tür zu der Kammer, musterte ungerührt die drei Männer und die Frau, als sähe er sie zum erstenmal, und genoß ihre niedergeschlagenen Blicke, ihre Erschöpfung und Abgespanntheit. Genau da wollte er sie haben.
»Ich bedauere die Unannehmlichkeiten«, sagte er. Es war das erste Mal seit der Entführung, daß er das Wort ergriff. »Gut, daß Sie keinerlei Widerstand geleistet haben, sonst hätten wir Sie sicherlich erschossen.«
»Für einen Hochlandguerillero sprechen sie ziemlich gut Englisch«, entgegnete Rodgers. »Mister –?«
»Tupac Amaru. Ich habe die Universität von Austin, Texas, besucht.«
»Was Texas geschmiedet«, murmelte Giordino leise vor sich hin.
»Wieso haben Sie uns gekidnappt?« flüsterte Shannon mit
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