Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
anheimfallen.
Wenn der Tod eines einzelnen Wesens schon schlimm war, dachte Zane, wie stand es dann erst um den
Tod einer gesamten Spezies? Er billigte die Kampagne des Drachenkults, die Feuerspeier am Leben
zu erhalten. Er wünschte sich nur, daß es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, um diese Drachin
hier zu füttern.
Die rollte die Flügel ein und legte sie an. Sie atmete ein, dann gab sie eine Rauchwolke von
sich. Zane begriff, daß ihr Feuerorgan sich gerade erst aufzuwärmen begann. Die
Abenteuergeschichten, in denen Drachen dargestellt wurden, die sofort nach dem Erwachen Feuer
spien, waren völliger Unsinn. Es bedurfte einer Menge Energie, um Feuer speien zu können, weshalb
es auch nie achtlos geschah. Drachen waren Kaltblüter wie andere Reptilien und überwinterten
meistens, wenn sie nicht in der kalten Jahreszeit nach Süden zogen; ihr Feuer war ausschließlich
für den Kampf und die Nahrungsaufnahme bestimmt. Die Hot-Smoke-Drachen gaben zwar mehr Rauch von
sich als andere Arten - doch kein Drachenrauch ohne Drachenfeuer!
Das Wesen pirschte sich an Luna heran, die unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Drachen waren
geborene Jäger, so daß es sich hier um mehr als ein bloßes Ritual handelte.
Zwar hatten die Experten nie erklären können, wieso sie ausgerechnet jungfräuliche Wesen zur
Nahrungsaufnahme brauchten, doch gab es keine Zweifel daran, daß dem wirklich so war. Ein
Hot-Smoke-Drache würde eher verhungern, als totes oder nichtjungfräuliches Fleisch zu verzehren.
Die überzeugendste Erklärung dieser stark beschränkten Diät war die Annahme, daß es vor einigen
Millionen Jahren möglicherweise einmal eine schlimme Geschlechtskrankheit gegeben haben mochte,
an der sich die Drachen durch ihre Opfer angesteckt hatten, so daß es zu einer Frage des
Überlebens geworden war, nur noch reines Fleisch zu fressen. Daher das Bedürfnis nach Jungfrauen,
die nur in den seltensten Fällen geschlechtskrank waren.
Nun bemerkte Zane, daß die Drachin humpelte. Sie hatte einen schlimmen Fuß, wenngleich er nicht
ausmachen konnte, ob es sich dabei um ein körperliches Leiden oder einen magischen Schaden
handelte. Manchmal schleuderten rohe Menschen wilden Tieren Flüche entgegen, weil sie dies für
einen großen Spaß hielten. Es konnte Monate dauern, bis ein solcher Fluch an Wirkung verlor, was
im besten Fall nur lästig, im schlimmsten jedoch sogar tödlich sein konnte. Andere Tölpel warfen
die Abfälle giftiger Zauber in die Wildnis, wo nichtsahnende Wildtiere darüber stolperten und
Schaden nahmen. Kein Wunder, daß diese Drachin die Fütterungsstation aufsuchte; auf sich allein
gestellt, konnte sie kaum erfolgreich jagen - nicht mit dem Ei als Last auf ihrem Rücken und mit
ihrem hinkenden Fuß. Zane fuhr zusammen. Was waren das eigentlich gerade für Gedanken?
Schließlich wollte diese Bestie doch Luna vertilgen! Je behinderter die Drachin war, um so
besser! Vielleicht würde Luna das Ungeheuer doch noch mit dem Messer wirkungsvoll abschrecken
können. Wenn sie dies tat, wenn sie ihrem Schicksal auf legitime Weise entkam...
Nein. So leicht ließ sich das Schicksal nicht übertölpeln. Lunas Tod würde nicht die Schuld der
Drachin sein. Die Schuld würde vielmehr bei...
Die Drachin schoß vor. Tänzelnd wich Luna ihr aus und ließ das Messer durch die Luft sausen. Sie
mochte zwar wissen, daß der Tod unvermeidlich war, doch würde sie ihn nicht kampflos hinnehmen.
Sie würde kämpfen, um ein paar weitere Sekunden herauszuschinden, so wie ein Ertrinkender nach
Luft japste.
Sie war keine geübte Messerkämpferin, wenngleich ihre Künstlerhände vielleicht etwas geschickter
sein mochten als die meisten; doch so oder so würde das Feuer der Drachin ihre Anstrengungen
zunichte machen. Insofern war dies eher eine instinktive Übung ohne jede Erfolgsaussicht.
Die Drachin pumpte ihren Blasebalg auf und zielte auf die Frau. Inzwischen hatte sich das Tier
aufgeheizt und würde schon bald einen versengenden Feuerstoß von sich geben. Das würde dann das
Ende bedeuten. Natürlich besaß Luna keine Chance!
Zane konnte sich nicht mehr beherrschen. Er stellte sich vor das Ungeheuer. Die Flamme schoß
hervor, prallte aber von seinem Todesmantel ab, ohne ihm etwas anzutun.
»Nein!« rief Luna. »Laß mich auf diese Weise sterben, Zane! Zwing mich nicht dazu, zu riskieren,
was Satan mir vielleicht sonst zugedacht haben mag!«
Ein Glücksspiel mit einer anderen Todesart -
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