Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Geisel geworden.
Die Drachenkultler sahen, was Luna getan hatte. »Legen Sie das Ei hin!« schrie der Anführer. »Es
ist kostbar! Unschätzbar! Nur wenige Drachen pflanzen sich fort...«
Luna wich vor der Drachin zurück, das Ei wie einen Schild vor dem Körper haltend. Die
Feuerspeierin zuckte mit dem Schwanz und stieß schnaubend dichte Rauchschwaden aus, griff jedoch
nicht an.
»Der rücksichtslose Gebrauch von Pestiziden hat die Umwelt vernichtet«, rief der Drachenkultler.
»Deshalb besitzen Dracheneier auch nur noch eine vergleichsweise dünne Schale, und viele von
ihnen zerbrechen schon, bevor die Brut ausschlüpfen kann. Bis die Pestizidrückstände abgebaut
sind und das kann Jahrzehnte dauern -, droht der ganzen Art die Ausrottung. Jungfrau, schonen Sie
dieses Ei!«
Luna sah das Ei an und überlegte. Dann nickte sie. Sie legte es im Sand ab und trat
beiseite.
Als was galt das denn nun, fragte sich Zane. Hatte Luna das Wesen nun besiegt und damit ihrer
Pflicht genüge getan?
Wenn dem so...
Wieder griff Luna mit kampfbereit gezücktem Messer das Wesen an. Der gefährliche Kopf der Drachin
fuhr instinktiv herum, das Maul klappte auf.
Was war das nur für ein Wahnsinn? Luna hatte doch nicht die geringste Chance! Doch alles geschah
so schnell, daß Zane keine Zeit mehr blieb, um es zu verhindern.
Die Drachin stieß eine Rauchschwade aus, weil sie keine Zeit mehr gehabt hatte, um einen neuen
ordentlichen Flammenstoß hervorzubringen. Einen Augenblick lang wurde Luna von dem Qualm
eingehüllt.
Sie stieß einen Schrei aus, und das Geräusch ließ Zanes Herz fast zerbersten. Kurz darauf löste
sich der Rauch wieder auf, von einem leichten Windstoß davongeweht, und Zane erkannte zu seinem
Entsetzen, wie heiß er gewesen war. Lunas wunderschönes Haar und ihre prachtvolle Kleidung waren
versengt, ihre Haut mit Brandblasen übersät. Die Hitze hatte sie geblendet und teilweise
versengt.
Die Drachin näherte sich hinkend und packte mit dem Maul die taumelnde Frau. Knirschend malmten
die Zähne aufeinander, und üppiges rotes Blut spritzte in ihr Maul und troff ihr vom Kinn
herab.
Entsetzt sah Zane auf seine Uhr. Der Countdown war bei Null. Seine Edelsteine zeigten auf
Luna.
»Du warst also doch meine Klientin!« schrie er dem entsetzlich zugerichteten Körper zu. »Deine
guten Taten - die Jungfrau zu retten, das kostbare Drachenei zu retten, die Drachin zu füttern -
die haben dein Gleichgewicht wiederhergestellt! Du stirbst in ausgewogenem Zustand!«
Er rannte zu ihr, um die Seele zu enthaken, denn vorher konnte sie nicht wirklich sterben. Die
Flammen der Hölle konnten keine schlimmere Marter darstellen als das hier! Doch als er die
entsetzliche Szene dicht vor Augen hatte und ihren blutenden Körper im Maul der Drachin
erblickte, fiel Lunas Kopf zur Seite, und sie sah ihn an. Die zerfetzten Augenlider öffneten sich
ein Stück. Irgendwie spürte sie ihn. »Hol mich, Tod!« keuchte sie schmerzerfüllt.
Plötzlich rebellierte es in Zane. Dies war immerhin die Frau, die er liebte!
Er blickte in Lunas leidendes Gesicht. Nie hätte er sich vorstellen können, daß er eine derartige
Qual aus freien Stücken auch nur um eine Sekunde verlängern würde, doch nun mußte er es einfach
tun. »Nein«, sagte er. Er arretierte die Todesuhr.
Da erstarrte die ganze Szene, denn er hatte nicht nur den Countdown abgestellt, sondern auf den
Knopf gedrückt, der die Zeit selbst zum Stillstand brachte. Gedrückt? Unbewußt hatte er das
genaue Gegenteil davon getan, er hatte ihn heraus gezogen. Die Wolken am Himmel bewegten sich
nicht mehr, die Blätter auf den kargen Büschen hörten auf im Wind zu zittern, und die
Drachenkultier verwandelten sich in Statuen.
Noch immer staken die Zähne der Drachin in Lunas Leib.
Sogar der Rauch schwebte bewegungslos darüber.
Zane wandte sich um. Tatsächlich, hinter ihm stand Chronos.
»Ich habe mir gedacht, daß Sie kommen würden, um nachzusehen«, sagte Zane. »Ich möchte, daß Sie
uns zu dem Augenblick zurückbefördern, kurz bevor Luna...«
Chronos schüttelte den Kopf. »Das kann ich zwar tun, Tod, aber es wird Ihnen nichts nützen. Es
ist Luna bestimmt, daß sie an diesem Tag sterben soll; nur ihre Todesart steht zur freien
Wahl.«
Zane war von Grimm erfüllt. »Ihr Tod fällt nun in mein Revier. Ich liebe sie. Ich weiß, daß ihr
vorzeitiges Verscheiden unrechtmäßig ist, und ich werde ihre Seele nicht nehmen.«
Da kam eine Frau über den Sand geschritten.
Weitere Kostenlose Bücher