Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
andreht.«
»Menschen Ihres Schlages können eine Jungfrau doch auf zehn Meter Entfernung wittern«, fauchte
Luna. »Sie wissen genau, daß ich geeignet bin.«
Der Mann schnüffelte. »Tatsächlich, Sie sind eine, körperlich. Sie scheinen zwar geistig heftig
mißbraucht worden zu sein, aber...«
Er schüttelte den Kopf, verwundert über seinen Irrtum. »Na schön. Wir werden dieses Mädchen
freilassen, sobald der Drache befriedigt ist.«
»Sorgen Sie auch ganz bestimmt dafür«, sagte Luna. »Mein Freund wird da sein, um die Sache zu
überprüfen.«
Der Mann blickte Zane an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
Zane erwiderte den Blick, wissend, daß der andere ihn als Tod wahrnahm.
»Aha«, sagte der Mann voller Unruhe. »Ich bin sicher, das geht schon in Ordnung. Den Drachen ist
es egal, was mit dem Geist eines Menschen passiert ist, solange er im Augenblick des Verzehrs
frei von Drogen und der Körper unberührt ist.« Er wandte sich an seinen Begleiter, der einen
reich verzierten Kasten trug. Den öffnete er und holte ein glitzerndes silbernes Messer hervor,
das er Luna reichte. »Nur hiermit dürfen Sie sich verteidigen. Keine Magie, keine
Handfeuerwaffen. Sollten Sie den Drachen in fairem Kampf abwehren, werden Sie frei sein, bleibt
Ihnen Ihr Los erspart.«
»Dieses Käsemesser genügt ja wohl kaum, um ein feuerspeiendes Ungeheuer abzuwehren!« bemerkte
Luna.
»Das stimmt. Es ist eher eine symbolische Geste, die von der Kommission für faire
Arbeitsbedingungen verlangt wird. Natürlich wollen wir nicht, daß dem Drachen etwas passiert.
Aber theoretisch ist es immerhin möglich.«
Achselzuckend meinte Luna: »Ich bin sowieso hierhergekommen, um zu sterben. Wenn der Dampfdrache
mich nicht holt, dann wird es jemand anders tun.« Sie nahm das Messer.
Am Horizont über den Bergen erschien ein Rauchwölkchen.
»Da! Er kommt!« sagte der Mann, Staunen und Ehrfurcht im Gesicht. Gewiß hatte er schon viele
ähnliche Drachen gesehen, doch er war ein Reptilienanhänger, und diese hier waren die Könige des
Reptilienreichs. »Nun darf nur noch die designierte Jungfrau zurückbleiben, damit der Drache
nicht wieder verschwindet. Sie sind sehr scheu, müssen Sie wissen, seit die Jäger sie in der
bösen alten Zeit mit Bazookas gejagt haben.«
Er runzelte die Stirn bei dieser schlimmen Erinnerung.
»Luna...«, sagte Zane, unfähig, einen passenden Einwand vorzubringen.
»Laß mich wenigstens auf eigene Art gehen, so, wie ich es will«, sagte sie sanft. »Eine weitere
Chance werde ich nicht bekommen.«
»Aber ich liebe dich doch!«
»Ich glaube dir«, sagte sie. »Vielleicht hätte ich diese Liebe mit der Zeit ohne Einschränkung
erwidern können, wenn ich nicht von meiner Trauer abgelenkt worden wäre. Aber das hat anscheinend
nicht sein sollen. Ich glaube, daß mein Vater wollte, daß ich dich liebe, aber das hier hat er
nicht vorhergesehen.« Sie drehte sich zu dem Drachen um, der nun immer näher kam und größer
wurde. Die anderen hatten sich in Deckung begeben, um dem Geschehen zuzusehen. Es war sogar eine
Fernsehkamera da, denn eine Begegnung zwischen Drache und Jungfrau gab immer gute
Stimmungsbilder.
»Aber der Termin deines Ablebens ist ein Betrug!« rief Zane.
»Der Untere hat betrogen! Du solltest eigentlich einen vollen Turnus leben dürfen, um ihm
politisch Widerstand zu leisten. Deshalb hat er den Terminplan manipuliert! Du solltest
eigentlich überhaupt nicht sterben!«
Schnell drehte sie sich zu ihm um, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die
Lippen. »Es ist lieb von dir, daß du mir das sagst, Zane. Geh der Sache ruhig nach; solltest du
sie beweisen können, bekommst du meine Seele vielleicht aus der Hölle frei. Dann könnte ich zu
meinem Vater ins Fegefeuer. Das wäre schön.« Dann brach sie das Gespräch ab und schritt
entschlossen auf die Drachengestalt zu.
Zane sah ihr nach; er war völlig hilflos und konnte die Katastrophe nicht verhindern. Sie hatte
recht; diese Runde ging an den Satan, gleichgültig, durch welche Mittel der seinen Sieg erreicht
hatte. Luna hatte ihre Tränen vergossen und ihr Schicksal akzeptiert, und nun tat sie etwas
außergewöhnlich Großzügiges. Sie war eine gute Frau, egal, was in den offiziellen Akten stehen
mochte! Er liebte sie wirklich - und das war auch mit ein Grund, weshalb er sich nicht einmischen
durfte. Sie hatte sich entschieden.
Er blickte auf die Todesuhr. Der Countdown zeigte vier Minuten an. Schon bald würde er
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