Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
sich
seinem wirklichen Klienten zuwenden müssen, wer immer das sein mochte...
Doch zunächst einmal würde er zusehen, was hier geschah, auch wenn es ihm seine ganze
Lebensfreude rauben sollte. Es blieb ihm zwar noch Zeit, dennoch würde er nicht eingreifen.
Luna hatte ihre Todesart gewählt, und es war ein würdiges Ende. Das Gütigste, was er ihr antun
konnte, bestand ironischerweise darin, daß er sie von dem Drachen rösten und in Stücke reißen
ließ!
Als er über das Feld schwebte, zielte und zur Landung ansetze, wurde der Drache immer größer.
Verglichen mit ihren Artgenossen waren die Hot-Smoke-Drachen zwar nicht einmal sehr groß, doch
ihr Feuerspeien machte sie zu höchst eindrucksvollen Lebewesen. Dieses Exemplar war ein Weibchen,
wie an den graugetönten Schuppen zu erkennen war. Auf ihrem Rücken ruhte zwischen großen ledrigen
Flügeln ein einzelnes gepanzertes Ei.
Aus dem Unterstand erschollen Schreie, und Zane sah, wie der Kameramann sein Zoomobjektiv
einschraubte. Ein Ei - das bedeutete möglicherweise einen Babydrachen, der die Art fortsetzte; da
war es natürlich klar, daß die Drachenkultanhänger interessiert waren! Sie würden ihr Bestes tun,
um das Ei zu verfolgen wie auch das Drachenjunge, das daraus schlüpfen würde. Vielleicht würden
sie es sogar markieren, es mit einem kleinen Sender versehen, um über Funk seine Streifzüge
verfolgen zu können. Natürlich würde irgendein Wilderer es erlegen, bevor es ausgewachsen war.
Das war ein weiterer Grund, weshalb die Drachen eine bedrohte Tierart waren. Zane hätte erheblich
mehr Sympathie für die Lage der Feuerspeier gehabt, wäre es nicht ausgerechnet Luna gewesen, mit
der die Drachin gefüttert werden sollte. In der Mitte des Wüstentals blieb Luna stehen und
befingerte nervös ihr Messer. Zane bemerkte, daß sie keinerlei Schmuck trug, um nicht gegen das
Verbot der Magie zu verstoßen. Gewiß besaß sie doch zu Hause Steine, mit deren Hilfe man Drachen
mühelos in Dampf auflösen konnte! Doch sie war entschlossen, ihre Rolle richtig zu Ende zu
spielen. Luna hatte ihren Umhang abgelegt und trug ein weitfließendes weißes Kleid, und ihr Haar
glühte kupfern im Sonnenlicht. Sie war das wunderschönste Wesen, das man sich nur denken konnte.
Doch Zane wußte, daß er nicht objektiv war: Schließlich liebte er sie ja. Die Lage war absolut
wahnwitzig! Wie konnte er nur zusehen, daß der Drache sie tötete, ohne auch nur den geringsten
Versuch zu machen, sie zu retten? Objektiv und sachlich leuchteten ihm die Gründe dafür zwar ein,
doch sein Gefühl rebellierte dagegen. Es mußte irgendeinen Ausweg geben.
Aber einen Ausweg wofür? Wenn Luna nicht auf diese Weise sterben sollte, würde es auf eine andere
geschehen möglicherweise sogar auf eine schlimmere. Nun wurde ihm klar, daß Satan die zehn Tage
bis zur Ratssitzung niemals tatenlos verstreichen lassen würde; er würde der Sitzung vorgreifen,
die Versammlung vor vollendete Tatsachen stellen wollen. Was hätte man vom Vater der Lüge auch
anderes erwarten sollen? Zane hatte nie die Möglichkeit gehabt, die Angelegenheit mit Hilfe von
Beziehungen zu regeln. Also war der Todeszeitpunkt, wahrscheinlich aufgrund von Zanes Einspruch,
vorverlegt worden, und nun lag es an Luna, an diesem Schicksalstag die Art ihres Todes selbst zu
bestimmen.
Wenigstens waren Drachen keine Sadisten. Sie töteten ihre Opfer auf schnelle, saubere Weise und
fraßen sie auf, ohne sie vorher zu quälen. Es waren natürliche Wesen, die keine Verschwendung
kannten.
Zane musterte die Drachin. Sie war ungefähr sechs Meter lang, mit ebenso großer Flügelspanne,
doch ihr Oberkörper war eher schlangenähnlich als starr. Im Interesse einer gesteigerten
Flugfähigkeit war die Körpermasse etwas zu kurz gekommen.
Sie besaß nur einen Satz Füße, und ihr Kopf war recht klein; tatsächlich hatte sie etwas
Vogelähnliches an sich. Jedoch gab es nur wenige Vögel von ihrer Größe, mit Zähnen, ledernen
Schwingen und metallischen Schuppen bewehrt. Beide, Vögel und Drachen, stammten von den uralten
Reptilien ab, doch ihr gemeinsamer Vorfahr lag wahrscheinlich an die hundert Millionen Jahre
zurück. Vielleicht hatten Vögel, Säugetiere und Drachen vor siebzig Millionen Jahren den
Dinosauriern den Garaus gemacht. Lange Zeit danach waren alle drei Arten noch gediehen, doch nun
herrschten die Säugetiere, vor allem die Menschen, vor. Schon allzu bald würden die Drachen der
Vergessenheit
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