Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Stern. Ein Saphir taugt selbst im besten Fall schon zur Divination nichts,
und dieser hier ist auch noch minderwertig. Lassen Sie auch Ihre Uhr zurück und alle etwaigen
Ringe, die Sie besitzen. Das Leben haben Sie jetzt hinter sich.« Sie schritt zur Tür.
»Aber ich muß doch noch soviel lernen!« rief Zane klagend.
»Dann machen Sie sich endlich an die Arbeit, Tod!« versetzte sie und schloß die Tür hinter
sich.
Zane blickte verzweifelt umher, auf der Suche nach einem besseren Realitätsanker. Wie sollte er
der Tod sein? Nie hatte er sich so etwas auch nur in seiner Phantasie ausgemalt!
Er erblickte etwas Blitzendes. Es war eine solide Uhr am Handgelenk des toten Todes, die wohl
kaum zur Leiche Zanes passen würde, der zu abgebrannt gewesen war, um seine verpfändete Uhr aus
dem Leihhaus auszulösen. Das war sicherlich einer der Ausrüstungsgegenstände. Er beugte sich
nicht ohne Ekel vor, um sie vom Handgelenk zu entfernen, dann legte er sie selbst an. Sie war
gute vier Unzen schwer, paßte ihm aber sehr gut, als sei sie maßgeschneidert.
Offensichtlich hatte die Uhr lediglich auf sich aufmerksam machen wollen, damit er sie nicht
übersah. Sie gehörte zu seinem Amt. Natürlich war sie totenschwarz: ein mechanisches Gerät mit
automatischem Selbstaufzug, das zwar langweilig, aber teuer aussah.
Warum verwendete der Tod eine mechanische Uhr, gleich welcher Qualität, anstelle einer
hochentwickelten elektronischen oder einer magischen Miniatursonnenuhr? Darauf wußte Zane im
Augenblick keine Antwort. Vielleicht war der letzte Amtsinhaber von konservativer Gesinnung
gewesen.
Möglicherweise hatte er jahrhundertelang gelebt, bevor er nachlässig geworden war, und hatte es
versäumt, auf dem laufenden zu bleiben.
Merkwürdig, dachte Zane, daß er keinerlei besondere Reue darüber empfand, diese Person umgebracht
zu haben. Sein anfänglicher Schock ließ langsam nach, so daß alles, was übrigblieb, zum
überwiegenden Teil aus Entsetzen darüber bestand, daß jemand getötet worden war, ganz so, als
hätte er gerade eben einen besonders brutalen Mord im Fernsehen miterlebt. Vielleicht beruhte
diese sich entwickelnde Gleichgültigkeit darauf, daß der Tod für ihn eher ein »Es« blieb als ein
menschliches Wesen. Doch nun war er, Zane, selbst dieses »Es«.
Er bemerkte ein weiteres Aufblitzen. Es stammte von einem Ohrschmuck, der fast verborgen war,
weil das linke Ohr des Todes auf der Bodenseite ruhte. Gewiß sollte er auch diesen Gegenstand an
sich nehmen; er gehörte zu dem Schmuck, den die Norne erwähnt hatte. Er nahm sich zusammen, um
das tote Fleisch einmal mehr anfassen zu können, dann entfernte er den Ohrring: ein roter
Granatcabochon, auf einer Seite gerundet, auf der anderen abgeflacht, der recht hübsch
leuchtete.
Das Ding war für durchbohrte Ohren gedacht, Zanes Ohr aber war ganz. Er zögerte, dann steckte er
den Edelstein in die geräumige Tasche seines Umhangs.
Im Flur erklangen Schritte, gefolgt von einem zögernden Klopfen an der Wohnungstür. »Mr. Z, sind
Sie in Ordnung?« fragte eine Stimme. Es war seine ältere Nachbarin, eine neugierige Frau, die
aber doch ganz nett war.
Zane blieb wieder wie angewurzelt stehen. Was sollte er tun?
Wenn er sie hereinließ...
»Mr. Z!« rief die Nachbarin, diesmal drängender.
»Ich bin schon in Ordnung!« antwortete er.
»Mr. Z«, wiederholte sie. »Ich habe eine Art Schuß in diesem Raum gehört. Bitte geben Sie doch
Antwort!«
»Es ist alles in Ordnung!« brüllte Zane.
Die Tür ging auf. Der Kopf der Frau schob sich ins Zimmer.
»Mr. Z, warum antworten Sie denn nicht? Ich weiß, daß Sie zu Hause sind, ich habe Sie
hereinkommen sehen. Wenn irgend etwas nicht stimmen sollte... wenn ein Räuber auf Sie geschossen
haben...«
»Ich bin auch zu Hause! Hier ist kein Räuber!« schrie Zane.
»Bitte gehen Sie!«
Die Frau trat in die Wohnung. »Ich bin sicher, daß ich gehört habe, wie...« Dann erblickte sie
die Leiche am Boden. Die trug inzwischen Zanes Kleidung, obwohl Zane sich nicht daran erinnern
konnte, sie ihr angezogen zu haben. Wahrscheinlich hatte die Norne das erledigt, als er noch viel
zu benommen von der Unglaublichkeit der Situation gewesen war.
Sie schrie auf: »Mr. Z! Sie sind ja verletzt!« Sie rannte zur Leiche, um sie zu inspizieren und
kam dabei an Zane vorbei, als würde sie ihn gar nicht wahrnehmen. »Sie sind ja... tot!«
»Sieht ganz danach aus«, meinte Zane mit leichtem Sarkasmus. Nun ließ die Reaktion der
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