Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Nachbarin
den Schock über seine Tat wiederkehren. Er hatte sich umbringen wollen und hatte statt dessen
einen anderen Menschen getötet. Er war ein Mörder! Die auf die Tat folgenden Ereignisse waren so
überraschend gekommen, daß ein großer Teil des Schreckens von ihm abgeglitten war. Doch nun
klärte sich der Schleier wieder, und er war entsetzt. Er hatte in seinem Leben schon viele
unglückselige Dinge getan, und heute war es am schlimmsten, denn noch nie hatte er einen anderen
Menschen umgebracht.
Na ja, technisch gesehen hatte er doch getötet. Aber das war ein besonderer Fall gewesen,
und seine Mutter... Er schnitt den Gedanken ab. Er war beladen von Schuld und war tatsächlich
etwas abgestumpft gegen das Böse in der Welt. Dennoch...
Die Nachbarin drehte sich um. Nun erblickte sie ihn. »Oh, Wachtmeister!« sagte sie. »Ich bin ja
so froh, daß Sie hier sind. Mr. Z ist tot! Ich fürchte, es war ein Selbstmord! Ich habe den Schuß
gehört, und als er nicht geantwortet hat...«
Warum hatte sie so lange gewartet, bevor sie gekommen war, um nachzusehen? Er hatte die Pistole
vor einer halben Stunde abgefeuert. Sie mußte so lange gebraucht haben, um ihre Neugier
hinreichend anzustacheln. »Ja, danke«, sagte Zane ernst. »Von jetzt an werde ich mich um die
Angelegenheit kümmern.«
»Oh, da bin ich aber beruhigt!« Aufgeregt verschwand die Frau wieder.
Zane entspannte sich etwas. Es stimmte also: Während er den Todesumhang trug, war er größtenteils
nicht zu erkennen. Die Frau hatte ihn weder als Zane noch als Tod gesehen; sie hatte ihn vielmehr
für einen Polizisten gehalten, die Art von Achtung gebietender Person, die sie erwartet hatte.
Schon bald würde sie das ganze Gebäude informiert haben.
Er ging hinaus, den schmalen Hausflur entlang und die Treppe hinunter zu dem wartenden Fahrzeug.
Dabei kam ihm plötzlich und unverhofft die Einsicht, daß der Todesstein im Laden technisch
gesehen zwar recht gehabt hatte, von der Bedeutung her aber im Irrtum gewesen war. Er hatte seine
Begegnung mit dem Tod angezeigt, nicht aber, daß er tatsächlich ein neues Amt antreten und
unsterblich werden würde. Das war das Problem bei Omen: Sie zeigten zwar kommende Ereignisse an,
nicht aber ihre Konsequenzen.
Er hielt inne. Welches wartende Fahrzeug? Er besaß keinen eigenen Wagen, und niemand hatte
ihm von einem erzählt.
Und doch war er irgendwie davon ausgegangen, daß - ja, wovon eigentlich?
Na ja, wie war der Tod denn wohl hierher gekommen? Ließ er seine Arme flattern, um durch die Luft
zu fliegen, oder fuhr er einen Wagen? Was immer es sein mochte, jedenfalls war es auch das, was
Zane tun mußte.
Er trat ins Freie, spähte umher und ließ seine Augen sich an die Dunkelheit der Nacht anpassen.
Dort war ein Fahrzeug: eine schwarze Limousine, die friedlich auf dem Parkplatz des Hausbesitzers
stand. Der Hausbesitzer hätte normalerweise das unbefugte Fahrzeug abschleppen lassen - doch
zufälligerweise war der Mann gerade nicht da. Wahrscheinlich förderte der Zufall die Operationen
der - wie hatte die Norne sie genannt? der Inkarnationen. Wie sollte der Tod schließlich auch
seine Runden drehen, wenn sein Wagen ständig von irgendwelchen erbosten Sterblichen abgeschleppt
wurde?
Zane glaubte, daß es der Todeswagen war, weil die Parkleuchten ihm zuzwinkerten. Die Besitztümer
des Todes sorgten schon dafür, daß der Tod sie nicht vernachlässigte. Zane wäre damit durchaus
zufrieden gewesen, hätte die ganze Geschichte nicht eine derart grimmige Note gehabt.
Er schritt darauf zu und ging an der Heckseite um den Wagen herum. Das Nummernschild trug die
Aufschrift MORTIS. Das erklärte die Bemerkung der Norne. Er hatte irgendwie gedacht, daß sie mit
dem Namen eine Person gemeint hatte, doch offensichtlich war es die Maschine. Auf der Stoßstange
befand sich ein Aufkleber: DURCH DEN TOD TEILT DIE NATUR DIR MIT, DASS DU LANGSAMER FAHREN
SOLLST.
Genau. Er öffnete die Wagentür und kletterte in den üppigen Fahrersitz.
Einem derart eleganten und bequemen Automobil war er bisher noch nie begegnet. Jedes Teil
strahlte eine düstere Qualität aus. Die Polsterung bestand aus echtem Alligatorleder, und das
Metall war dunkles Chrom. Wahrscheinlich war der Wagen in der Grundausstattung
fünfunddreißigtausend Dollar wert, hinzu kamen die teuren Extras. Er war sich nicht sicher, ob er
es wagen würde, ihn zu fahren.
Seine Uhr blitzte aufmerksamkeitsheischend auf.
Sie war zwar von mechanischer
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