Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
über einen Wellengipfel glitt und sich
grauenerregend schräg legte.
Er drückte auf den blinkenden Knopf am Kontrollpaneel.
Da war das Pferd wieder da und galoppierte die sich verschiebenden Umrisse der Woge entlang. Ja,
das war eindeutig besser! Das Tier konnte wenigstens nicht voll Wasser laufen oder kentern. »Ohne
dich käme ich überhaupt nicht zurecht, Mortis«, sagte Zane und klammerte sich verzweifelt
fest.
Dann kam der Klient in Sicht. Es war ein junger Mann, der sich an einem Stück Treibholz
festhielt. Der Mann erblickte Zane und hob matt die Hand. Dann versank er in einer Welle.
»Der muß nicht sterben!« protestierte Zane und sprach damit ebensosehr für sich selbst wie für
seinen Klienten.
Mortis schnaubte kommentarlos. Schließlich war der Tod hierherzitiert worden, um die Seele eines
Klienten einzuholen.
»Ich werde ihn retten«, sagte Zane. »Zuzusehen, wie er ertrinkt... das wäre doch der reinste
Mord!«
Das Pferd reagierte nicht, es kam lediglich auf dem Wasser neben dem Ertrinkenden zum Halten.
Zane stieg ab und stellte fest, daß seine Füße auf der Wasseroberfläche tatsächlich festen Halt
hatten, wie die Norne es auch behauptet hatte.
Er griff hinab, packte den Mann an seinem emporragenden Arm und riß ihn in die Höhe. Für den
Klienten war die Woge flüssig, für Zane dagegen fest - und Zanes handschuhbewehrte Hand glitt
auch nicht durch das Fleisch des Mannes hindurch, wenn er das nicht wollte. Seine Magie paßte
sich seinen jeweiligen Bedürfnissen an.
Doch da überspülte ein Brecher die Stelle, an der sie sich befanden, und begrub den Klienten, den
er beinahe fortgerissen hätte. Irritiert schlug Zane auf den mittleren Knopf seiner Todesuhr, um
die Zeit selbst einzufrieren. Doch nichts geschah, bis ihm einfiel, daß dieser Knopf nicht
gedrückt, sondern herausgezogen werden mußte. Also zog er.
Das Wasser erstarrte an Ort und Stelle: Wogen, Schaum und Gischt. Der dahinjagende Nebel blieb
stehen, als sei er fotografiert worden. Alles war still und stumm.
Zane bekam den Klienten besser zu packen und riß ihn aus dem Meer. Doch es genügte nicht: Es war
offensichtlich, daß der Klient schon fast erledigt war; während des letzten Untertauchens hatte
er Wasser eingeatmet.
Zane hievte den Mann auf die Kruppe des Pferds, die Arme hingen auf der einen Seite herab, die
Beine auf der anderen. Er drückte gegen seinen Rücken, um ihm das Wasser aus den Lungen zu
pressen, doch das erwies sich als nicht sonderlich effektiv. Dann bäumte Mortis sich auf, was dem
Mann einen Stoß versetzte, und damit war die Sache erledigt: Das Wasser sickerte ihm aus dem
Mund, und er begann zu husten und zu keuchen.
Zane half ihm, sich aufzurichten. Die Augen des Mannes weiteten sich. »Du bist der Tod - aber du
hast mich nicht umgebracht!«
»Ich bringe dich an Land«, sagte Zane und hievte ihn hinter sich. »Halt dich fest.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte der Mann in einem etwas jammernden Tonfall.
Zane drückte auf den Knopf seiner Uhr. Der Sturm setzte wieder ein. Das Pferd schritt die
Steigung einer Woge hinauf.
Der Wind zerrte zwar noch an ihnen, doch waren sie vor ihm sicher. »Warum?« fragte der
Mann.
Zane konnte nichts antworten. Er fürchtete, daß er sein Amt mißbrauchte und dafür wohl irgendwie
bestraft werden würde, trotzdem mußte er diesen Mann retten.
Bald darauf hatten sie den Sturm hinter sich gelassen und gelangten an eine Insel: Das schwarze
Pferd wußte schon, welchen Weg es nahm. Sie kamen an einen leeren Strand, doch die herumliegenden
Flaschen zeigten, daß er gelegentlich von Touristen besucht wurde. Die Zivilisation war also in
Reichweite.
Der Mann stieg vom Pferd und blieb, immer noch ungläubig, auf dem nassen Sand stehen. »Warum?«
wiederholte er.
»Ausgerechnet du, von allen Wesen...«
Zane mußte irgendeine Reaktion von sich geben, und wenn es auch nur war, um sein irrationales
Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen. »Deine Seele läuft Gefahr, in die Hölle zu kommen.
Geh und tu Gutes in der Welt, damit du im Jenseits erlöst wirst.«
Der Mann starrte ihn mit aufgesperrtem Mund an. Dies war schließlich das zwanzigste Jahrhundert,
da nahm doch niemand mehr eine solche Ermahnung ernst!
»Lebewohl«, sagte Zane.
Mortis setzte sich in Bewegung und stürmte einmal mehr in den Himmel empor. Zane blickte zurück
und sah, wie sein ehemaliger Klient immer noch dastand und hinter ihm herstarrte.
Hatte er das Richtige getan? Wahrscheinlich
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