Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
an den Rand des Todes geraten. Jetzt versuche ich, gut zu sein, was
immer das auch wert sein mag, damit ich mich wenigstens als halbwegs nützlich für irgendwas ansehen kann.
Dich... dich jetzt auszunutzen, vor allem zu einem solchen Zeitpunkt, ich weiß, daß das... Ich
habe einmal im Leben so etwas getan, und davon ist nach wie vor ein Fleck auf meiner Seele
zurückgeblieben... Na ja, ich finde lediglich, daß jemand, der so wichtig ist wie der Tod,
einfach nicht so sein sollte. Deshalb werde ich die Rolle so weiterspielen, wie ich es für
richtig halte, auch wenn ich kein... Ach, ich weiß ja selbst, daß ich kein würdiger Schauspieler
bin.«
»Du verstößt gegen den Wunsch meines Vaters«, sagte sie. »Er hat seinen Tod zeitlich so geplant,
daß du mir begegnen mußtest. Die Norne hat dir diese andere Frau weggenommen, damit du für mich
frei bist. Ich bin dir auf sehr reale Weise verschrieben worden.«
»Ich bin dir begegnet. Ich glaube nicht, daß du mir etwas für das schuldig bist, was die Norne
getan hat. Vielleicht bin ich nur wegen der Liebe enttäuscht, die ich fortgeworfen habe, bevor
sie überhaupt begann. Vielleicht bin ich nur wütend, weil man mich benutzt. Ich glaube, ich
würde... Ich weiß es nicht. Vielleicht hat dein Vater mich falsch eingeschätzt.«
»Vielleicht«, stimmte sie ihm zu. »Dennoch, ich muß meine eigene Schuld abtragen und versuchen,
seinen letzten Willen zu ehren. Täte ich etwas anderes, so hieße dies, dem Andenken meines Vaters
Gewalt anzutun. Würdest du dich wenigstens auf eine Verabredung einlassen?«
»Wenn ich erst einmal damit anfange, mich mit einer Frau deiner Qualität zu treffen, werde ich
schon sehr bald viel zu viel haben wollen.«
»Du kannst viel zu viel haben.«
»Ich... nein, ich meine, der Tod sollte nicht von seiner Arbeit abgelenkt werden.«
»Dann komm, wenn du nicht im Dienst bist.«
Zane fühlte sich zwar schuldig, zugleich aber auch in größter Versuchung. »Irgendwann einmal«,
willigte er schließlich ein.
»Irgendwann einmal.«
Es gab nichts mehr zu sagen. Zane öffnete die Tür, nahm seine Sense auf und schritt zu seinem
Pferd. Er stieg auf. »Auf zum nächsten, Roß!« sagte er. Der Hengst sprang in den Himmel empor.
Gerade begann es hier zu dämmern, und im Osten erglühte langsam eine Wolkenbank. Mortis trabte
über die Wolken, als bestünden sie aus Sand, ohne Flügel fliegend, dann stürzte er sich durch sie
hindurch in die Tiefe, irgendwo auf dem tagesbeschienenen Teil des Globus.
Doch unter ihnen war kein Land. Das Pferd schwebte auf den Atlantik hinab. Seine Hufe berührten
die Oberfläche und fanden Halt. Natürlich konnte dieses Tier auch auf dem Wasser gehen!
Vor ihnen senkte sich die Wolkendecke, um sich mit dem Wasser zu schneiden: ein Sturm. Der Hengst
ritt geradewegs darauf zu. Zane musterte mit wachsender Unruhe die aufgepeitschten Wogen. Der
Inhaber des Todesamts war nur so lange unsterblich, wie er nicht getötet wurde. Was, wenn er
ertrinken sollte? Die See gischtete immer heftiger empor, die Wogen schäumten bereits berghoch
über seinem Kopf, und in unmittelbarer Sturmnähe waren sie sogar noch größer.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Wer soll mich ablösen, wenn ich hier ertrinke?« Doch das war
nicht seine wirkliche Sorge. Es war ihm gleichgültig, wer als nächster das Amt übernahm; er
wollte es nur nicht preisgeben.
Wollte er nicht? Warum hatte er dann versucht, auf solch stümperhafte Weise seine Klientin dazu
zu bewegen, ihn zu töten? Was wollte er eigentlich wirklich?
Er war sich nicht sicher, hegte aber den Verdacht, daß es mit etwas Persönlichem zusammenhing. Er
würde seinen eigenen Abgang leichter hinnehmen, wenn er sein Amt einem ausgesuchten Nachfolger
übergab, als wenn ein toter Ozean ihn einfach daraus fortspülte. Das Bedürfnis nach Kontrolle und
Selbstachtung war die eigentliche Wurzel seiner Unruhe.
Ein Punkt neben dem Sattelknauf blinkte auf. Zane berührte ihn - und aus dem Pferd wurde ein
Schnellboot mit Doppelhülle, das seine Bahn durch die Sturmausläufer schnitt.
Wunder über Wunder! »Du bist mir wirklich einer, Mortis!« rief Zane.
Doch die Wogen waren so entsetzlich, daß das Gefährt schon bald in eine äußerst prekäre
Schräglage geriet. Das schwarze Boot steuerte sich selbst höchst gekonnt, um nicht überspült zu
werden, doch die See schien entschlossen zu sein, es auszumanövrieren.
»Als Pferd bist du mir lieber!« rief Zane, als das Schiff
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